Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei sorgt für heftigen Streit. Ankara zeigt sich als sperriger Partner für die EU. Vor diesem Hintergrund ist das neueste Reiseziel der Kanzlerin durchaus bemerkenswert.

Berlin - Angesichts wachsender Furcht vor einem Scheitern des EU-Flüchtlingsabkommens mit der Türkei reist Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am 22. Mai nach Istanbul. Beim ersten UN-Nothilfegipfel werde sie einen Tag später eine Rede halten, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin mit. Am Rande der Konferenz, bei der es um den Umgang mit humanitären Krisen gehen soll, seien auch bilaterale Gespräche geplant. Ob Merkel den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan treffe, stehe noch nicht fest.

 

Nach dem Abkommen zur Begrenzung des Flüchtlingszuzugs schickt die EU Migranten, die seit 20. März illegal in Griechenland eingereist sind, zurück in die Türkei. Für jeden zurückgeschickten syrischen Flüchtling darf ein anderer Syrer aus der Türkei legal in die EU einreisen. Teil des Abkommens ist auch die Visumfreiheit für türkische Bürger, die in die EU reisen wollen. Über die Voraussetzungen streiten die EU und Ankara jedoch heftig, so dass die angestrebte Aufhebung der Visumpflicht bis Ende Juni offen ist - und damit die Zukunft des Flüchtlingspakts mit der EU insgesamt.

Bedingungen erfüllen

Führende deutsche Politiker beharrten am Freitag darauf, dass die Türkei die Bedingungen für die Visumfreiheit erfüllen müsse. Präsident Erdogan wolle „Visaerleichterungen, ohne dafür die Voraussetzungen zu liefern“, beklagte der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel im „Spiegel“. „Das kann und darf Europa nicht akzeptieren.“ Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) mahnte in der „Rheinischen Post“ (Samstag), die EU müsse „unbedingt“ auf die Einhaltung der Bedingungen für die Visumfreiheit bestehen.

Zu den EU-Forderungen gehört die Entschärfung der türkischen Anti-Terror-Gesetze - so soll ausgeschlossen werden, dass auch missliebige Journalisten oder politische Gegner verfolgt werden können. Erdogan hat dies jedoch kategorisch ausgeschlossen und Signale gesendet, wonach sein Land wieder mehr Flüchtlinge nach Europa schicken könnte, sollte die Visumfreiheit platzen.

Die Mehrheit der Deutschen glaubt einer Umfrage zufolge ohnehin nicht an einen Erfolg des EU-Türkei-Abkommens. 59 Prozent gehen davon aus, dass die aktuellen Spannungen mit Erdogan den umstrittenen Deal kippen werden. Nur 34 Prozent glauben, dass er Bestand hat. Die übrigen antworteten im neuen ZDF-„Politbarometer“ mit „weiß nicht“.

Beunruhigendes Signal

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen forderte in einem offenen Brief an die EU-Staats- und Regierungschefs, vom Flüchtlingspakt Abstand zu nehmen. „Das EU-Türkei-Abkommen bedroht das Recht aller Menschen, Asyl zu beantragen“, heißt es in dem Schreiben. Das Abkommen sende das „beunruhigendes Signal“ in die Welt, dass Länder sich aus ihrer Verantwortung gegenüber Schutzsuchenden freikaufen könnten. Es stelle den Grundsatz in Frage, dass Menschen vor Krieg und Verfolgung fliehen dürften.

Dass das zum 20. März in Kraft getretene Abkommen Wirkung zeigt, beweisen neue Zahlen der europäischen Grenzschutzagentur Frontex: Demnach kamen im April lediglich 2700 Menschen über das Meer illegal nach Griechenland - ein Rückgang um 90 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Im März waren es noch 26 971, im Februar 57 066 und im Januar 67 415. Frontex zufolge hält allerdings auch die Grenzschließung Mazedoniens und damit die faktische Schließung der Balkanroute nach Mittel- und Nordeuropa die Menschen von der gefährlichen Reise in der Ägäis ab.

Andere Menschen setzen weiterhin auf die nicht minder gefährliche Route von Nordafrika nach Europa. Die italienische Küstenwache entdeckte im Mittelmeer erneut mehr als 800 Flüchtlinge. Sie sollten von verschiedenen Schiffen nach Sizilien und Kalabrien gebracht werden, wie die Nachrichtenagentur Ansa am Freitag meldete.