Zahlt das Land wirklich eine Milliarde Euro zu viel an die Deutsche Bahn? Im Streit um den Verkehrsvertrag verschärft die CDU-Abgeordnete und verkehrspolitische Sprecherin Nicole Razavi die Tonlage: Die Vorwürfe der Grünen seien unbewiesen und stammten von „Schergen“ der Stuttgart-21-Gegner.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart -

 

Zahlt das Land infolge des Großen Verkehrsvertrages wirklich eine Milliarde Euro zu viel an die Deutsche Bahn? Die Landtags-CDU hält diesen Betrag für „frei erfunden“ und sieht keinerlei Grundlage für den von den Grünen angedrohten Untersuchungsausschuss. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) hingegen untermauert seine Berechnungen in einem Schreiben an den Landesrechnungshof, der den Vertrag derzeit prüft.

Auf die Kritik am Vertrag mit der DB Regio, der den Nahverkehr auf der Schiene bis 2016 regelt, hatten Vertreter der CDU-Fraktion zunächst eher kleinlaut reagiert. Beim Abschluss im Jahr 2003 habe man mangels Wettbewerbs eben keine besseren Bedingungen heraushandeln können, hieß es. Nun geht die CDU-Abgeordnete und verkehrspolitische Sprecherin Nicole Razavi in die Offensive. Es gebe „keinen Beleg“ dafür, dass die frühere Landesregierung zu hohe Zahlungen an die Bahn geleistet hätte, folgert sie aus der Antwort von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) auf eine CDU-Anfrage; dies sei „reine Spekulation”.

Milliardenschaden „durch nichts bewiesen“

Die vom VCD genannte und von Hermann übernommene Summe von einer Milliarde Euro entbehre jeder Grundlage. Es handele sich um „durch nichts erwiesene Äußerungen des VCD und (von) sonstigen Schergen der Projektgegner“ von Stuttgart 21, sagte Razavi wörtlich. Als Scherge bezeichnet man laut dem Online-Lexikon Wikipedia einen „Henkersknecht, Büttel, käuflichen Verräter oder generell eine Person, die einem Schurken dienstbar ist“.

In der Anfrage hatte sich die CDU erkundigt, warum der Verkehrsvertrag aus Sicht der Landesregierung viel zu teuer sei und welche Konsequenzen diese daraus ziehe. Hermann antwortete eher vorsichtig: Er verwies darauf, dass die Bahn für die Nutzung der Infrastruktur nicht nur die tatsächlichen Mehrkosten erhalte, sondern jährlich pauschal 1,5 Prozent zusätzlich; diese Forderung halte man für unberechtigt. Das Land will deshalb insgesamt 140 Millionen Euro einbehalten.

Ist der Vertrag womöglich nichtig?

Unabhängig von dieser „Frage der Vertragsauslegung“ prüfe das Ministerium derzeit, ob der Vertrag in ökonomischer Hinsicht eine „Überkompensation“ beinhalte, also die DB Regio unvertretbar viel Geld bekomme. Ob dies zu einer „Nichtigkeit“ führe, ihn also unwirksam mache, werde ebenfalls untersucht. Näheres lasse sich wegen laufender Prüfungen und außergerichtlicher Verhandlungen derzeit nicht sagen. Einstweilen würden Zahlungen an die Bahn insoweit geleistet, als sie „dem Grunde und der Höhe nach vorläufig für schlüssig erachtet werden“.

Zugleich bekräftigt Hermann seine Ansicht, der Verkehrsvertrag sei „für das Land in vielfacher Hinsicht ökonomisch äußerst nachteilig“. Diesen Vorwurf untermauert der VCD-Landeschef Matthias Lieb in einem aktuellen Schreiben an den Landesrechnungshof. Den Vorwurf der Überkompensation leitet er darin aus dem Vergleich mit Bayern ab: Bei gleicher Ausgangslage zahle Baden-Württemberg über die Jahre fast eine Milliarde Euro mehr an die Bahn. Laut Lieb hätte sich die Überbezahlung schon früher erkennen lassen, wenn das infolge eines Rechnungshofberichts eingeführte Controlling konsequent gehandhabt worden wäre. Dies habe dazu geführt, dass eher schwach ausgelastete Zugverbindungen gestrichen worden seien. Dass damit auch der Zuschussbedarf für die verbleibenden besser ausgelasteten Züge sank, sei nicht berücksichtigt worden. Aus Sicht des VCD stellen die überhöhten Kostensätze „versteckte Subventionen für den Bau von Stuttgart 21“ dar. Der Ausgleich für „erschwerte Betriebsbedingungen“ durch den Bau des Tiefbahnhofs sei auch deshalb nicht akzeptabel, weil sich der Baubeginn um Jahre verzögerte.

Beim Landesrechnungshof hieß es auf StZ-Anfrage, man beabsichtige, dem Verkehrsministerium bis Ende des Jahres eine Stellungnahme zukommen zu lassen. Angesichts des noch laufenden Verfahrens könne man zu Details noch keine Auskunft geben, teilte ein Sprecher mit.