Darf aus den Tagebüchern Hans Filbingers in einem Buch referiert werden? Darüber streitet die älteste Tochter des 2007 gestorbenen CDU-Politikers mit zwei Geschwistern. Am Donnerstag soll das Buch offiziell vorgestellt werden.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Das Buch sollte eigentlich schon seit Tagen im Handel sein. Für den 18. April hatte der Frankfurter Campus Verlag die „Vater-Tochter-Biografie“ von Susanna Filbinger-Riggert angekündigt. Titel: „Kein weißes Blatt“. Und rechtzeitig vor dem Erscheinungstermin gab die älteste Tochter des früheren baden-württembergischen CDU-Ministerpräsidenten zwei große Interviews – eines in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und eines im ZDF-Kulturmagazin „Aspekte“. Doch die PR-Offensive könnte erst einmal ins Leere laufen, weil sich zwei andere Filbinger-Kinder querlegen.

 

Es geht um den Anstoß für die Aufarbeitung der Familiengeschichte, den Filbinger-Riggert in den Interviews freimütig geschildert hatte: wie sie auf die bisher unbekannten Tagebücher ihres Vaters gestoßen war und was sie darin gelesen hatte. Nach dem Tod der Eltern, beim Ausräumen des Hauses in Freiburg, habe sie in unbeschrifteten Kisten 60 Hefte entdeckt. Schon 1940, als 26-jähriger Soldat, habe Hans Filbinger mit den Aufzeichnungen begonnen, fast lückenlos reichten diese über seinen Rücktritt im Jahr 1978 hinaus.

„Mulmiges Gefühl“ vor der Lektüre

Ein „mulmiges Gefühl“ habe sie vor der Lektüre beschlichen, gestand die Unternehmensberaterin (Jahrgang 1951), die lange in den USA gelebt hat. Was würde darin über die Todesurteile in seiner Zeit als Marinerichter stehen, die sie als junges Mädchen „total schockiert“ hatten? Würden die Tagebücher mehr Einblicke ins Seelenleben ihres Vaters geben, als er der Familie einst gewährt hatte? Da sei immer nur von den zwei Fällen die Rede gewesen, in denen er die Todesstrafe habe verhindern können.

In den vorhandenen Kriegstagebüchern – laut „Aspekte“ fehlt das entscheidende – finde sich dazu wenig, berichtete Filbinger-Riggert. Erst 1978 habe ihr Vater geschrieben, dass er sich an die Hinrichtung eines von ihm verurteilten Soldaten erinnere, nicht aber an das Urteil selbst. „Einem Pater hat er das mal gebeichtet, aber seiner Familie nicht“, wunderte sich die Tochter. Sie vermisste auch Bezüge zu seinen religiösen und moralischen Werten, einen Satz des Christen zum fünften Gebot („Du sollst nicht töten“), das in Kriegszeiten ja nicht außer Kraft gesetzt sei. In den Tagebüchern gebe es keinen Hinweis, „dass er ein ausgewiesener Anhänger Hitlers . . . gewesen wäre“, aber eben auch „kein Wort der Verurteilung, der Ablehnung“. Dass ihr Vater ein „Gegner“ des Nationalsozialismus war, als den ihn der damalige Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) in der Trauerrede gewürdigt hatte, lässt Filbinger-Riggert nicht gelten: „Wo hat sich das manifestiert?“ Ihr Fazit: „Aus meiner Sicht hat er sich für das Funktionieren des Systems Wehrmacht instrumentalisieren lassen.“

Zwei Geschwister erheben Einspruch

Die Interviews der Tochter fanden bundesweit Beachtung, dank der Publizität, hoffte man, würde das Buch einen guten Start haben. Doch es kam anders. Der Erscheinungstermin verschiebe sich auf den 2. Mai, teilte der Verlag überraschend mit, „da kurz vor Drucklegung noch einige Überarbeitungen notwendig geworden sind“. Der Auslieferung stünden „rechtliche Auseinandersetzungen“ entgegen, erfuhren Interessenten im Buchhandel. Prompt setzten Spekulationen ein, wer sich da zur Wehr setze. Waren es womöglich einstige politische Weggefährten Filbingers, die im Urteil der Tochter nicht gut wegkamen? Die Berater seien „ganz schnell weg“ gewesen, hatte sie moniert, „als die Lage brenzlig wurde“.

Auf StZ-Anfrage erläuterte eine Verlagssprecherin die tatsächlichen Hintergründe. Man habe den Druck des Buches gestoppt, weil zwei der vier Geschwister mit der Veröffentlichung in der geplanten Form nicht einverstanden gewesen seien. Dies hätten sie ihrer Schwester signalisiert. Die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Filbingers Nachlass verwalte, habe Bedenken wegen der Zitate aus den Tagebüchern angemeldet: Im vorgesehenen Umfang hätten diese „die schriftliche Zustimmung aller Erben erfordert“ – die nicht zu erhalten war. In der überarbeiteten Version, so die Sprecherin, werde das Buch nun „ohne wörtliche Zitate“ auskommen – was dem Inhalt keinen Abbruch tue. Zu den „familiären Verhältnissen“ zwischen den fünf Kindern Filbingers könne der Verlag nichts sagen, das sei Privatsache.

„Das gehört nicht in die Öffentlichkeit“

Umso offener äußert sich der Stuttgarter Unternehmensberater Matthias Filbinger, der zusammen mit einer anderen Schwester gegen das Buch vorgeht. Erst im Januar 2013 habe er von der Existenz der Aufzeichnungen seines Vaters erfahren, im März dann von dem Buch. Seine Schwester Susanna habe nach dem Fund „unrechtmäßig von den Tagebüchern Besitz ergriffen“, was den „Tatbestand der Unterschlagung beziehungsweise der Besitzentziehung durch verbotene Eigenmacht“ erfülle. Inzwischen sei geklärt – und auch vom Campus Verlag bestätigt –, dass die Rechte bei der Erbengemeinschaft, also allen fünf Geschwistern, liegen. Nur wenn sich diese einig seien, sagt der einst von der CDU zu den Grünen gewechselte Kommunalpolitiker, dürfe eine Veröffentlichung erfolgen.

Er und seine Schwester wollen die Freigabe indes nicht erteilen. „Das sind zum Teil höchst persönliche, private Aufzeichnungen, die nicht in die Öffentlichkeit gehören“, sagt Filbinger. „Weder direkt noch indirekt“ dürfe daraus öffentlich zitiert werden. Die Anwälte seiner Schwester hätten vom Verlag und der Autorin eine entsprechende Unterlassungserklärung verlangt. Ob diese abgegeben wird, blieb zunächst unklar. Susanna Filbinger-Riggert teilte mit, nach Prüfung durch den Verlag seien „entsprechende Änderungen inzwischen vorgenommen worden“.

An diesem Donnerstag jedenfalls will sie das Buch in einer Berliner Buchhandlung offiziell vorstellen. Für die Präsentation hat der Campus Verlag eigens eine „exklusive Vorabausgabe“ produziert. Man sei zuversichtlich, sagt die Sprecherin, dass es bei dem Termin und beim Erscheinungstag 2. Mai bleibe. Doch das letzte Wort dürfte in dem Streit noch nicht gesprochen sein.