Der EU-Klima-Kommissar Miguel Arias Canete verlangt von der Auto-Branche verstärkte Anstrengungen zur Senkung der Emissionen nach 2020.

Stuttgart - Die europäische Autoindustrie muss sich auf deutlich verschärfte Abgasgrenzwerte im kommenden Jahrzehnt einrichten. Miguel Arias Canete, der neue EU-Kommissar für Klimapolitik und Energie, sagte bei einer Tagung der IG Metall in Brüssel: „Wir müssen unsere Bemühungen nach 2020 noch verstärken.“ Der Spanier verwies darauf, dass sich die EU zum Ziel gesetzt habe, die CO2-Emissionen auf dem Transportsektor, gemessen am Stand von 1990, bis 2050 um 60 Prozent zu reduzieren. Tatsächlich stoßen die Autos gegenwärtig mehr Schadstoffe aus als in der Vergangenheit, obwohl jedes einzelne Fahrzeug sparsamer geworden ist. Die neue Kommission, so sagte Canete, habe begonnen, über die Anforderungen für die Zeit nach 2020 nachzudenken. Er versprach der Industrie eine frühzeitige Einbindung in die Entscheidungen. So soll im Frühsommer eine große Verkehrskonferenz stattfinden. Canete sicherte auch zu, dass Entscheidungen so früh fallen, dass sich die Industrie darauf einstellen kann.

 

Die IG Metall hielt ihre Konferenz in Brüssel ab, um bei der Entscheidung über neue Grenzwerte nicht – wie in der Vergangenheit – übergangen zu werden. IG-Metall-Chef Detlef Wetzel bereitet die Entwicklung der Arbeitsplätze Sorgen, wenn die Grenzwerte und die Kosten zu deren Einhaltung steigen: „Die IG Metall unterstützt eine ambitionierte Klimapolitik, aber nicht zu Lasten der Beschäftigten. Wir brauchen da ein Gleichgewicht.“ Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, wertete Canetes Gesprächsangebot zum Schluss der Konferenz als positives Zeichen. IG-Metall-Vize Jörg Hofmann und Bosch-Betriebsratschef Alfred Löckle äußerten gegenüber der Stuttgarter Zeitung allerdings Skepsis, ob der neue EU-Kommissar wirklich auf die Einwände der Unternehmen und der Gewerkschaften eingehen wolle.

Die Gewerkschaft sieht in den nächsten Jahren so viele Unwägbarkeiten, dass sie die Kommission aufruft, vor dem Jahr 2017 keine neuen Grenzwerte festzulegen. Darauf ging Canete in seinem Vortrag nicht ein. Er betonte vielmehr die Leistungsfähigkeit der Automobilindustrie und führte als Beleg dafür an, dass der Abgasgrenzwert von 130 Gramm CO2 bereits 2013 und damit zwei Jahre früher als eigentlich erforderlich erreicht wurde.

Vor einem Jahr, im Februar 2014, hat das EU-Parlament nach langem Streit die neuen Grenzwerte für die Zeit bis einschließlich 2020 verabschiedet. Danach sollen die CO2-Emissionen weiter auf 95 Gramm sinken. Die Autoindustrie hatte gegen die Verschärfung der Normen gekämpft, weil sie Kostenbelastungen vermeiden wollte. Die damalige EU-Umweltkommissarin Connie Hedegaard war aber nicht zu beeindrucken: Nach ihrer Meinung sind die 95 Gramm bereits mit dem gegenwärtigen technischen Standard zu erreichen. Auch ihr Nachfolger Canete sieht keine großen Probleme: „Wenn es so weitergeht, dann werden wir das Ziel 2020 erreichen“, sagte er. Hans Bruyninckx von der Europäischen Umweltagentur sprach sogar davon, dass das Ziel vorher erreicht würde. Die Standards gelten nicht für jedes einzelne Auto, das die Hersteller bauen, sondern für den Durchschnitt der gesamten Flotte. Unter anderem das Europa-Parlament hatte ursprünglich ehrgeizigere Ziele als die verabschiedeten 95 Gramm und wollte eine weitere Reduzierung auf 68 bis 78 Gramm für die Jahre bis 2025 festschreiben. In der Praxis würde das bedeuten, dass der   Spritverbrauch der Motoren von durchschnittlich vier Litern pro 100 Kilometer (Grenzwert: 95 Gramm pro Kilometer) auf drei Liter sinken müsste. Aus dieser ehrgeizigen Vorgabe ist aber nichts geworden. Es wurde lediglich ein allgemeines Bekenntnis zur weiteren Minderung des Schadstoffausstoßes verabschiedet.

Löckle und der Daimler-Betriebsratsvorsitzende Michael Brecht wehrten sich gegen den Eindruck, dass immer geringere Emissionsstandards ganz ohne Konsequenzen eingehalten werden könnten. Brecht: „Wir brauchen ein starkes Element Elektromobilität, um künftige Grenzwerte erreichen zu können.“ Auf diesem Gebiet ist mittlerweile Ernüchterung eingekehrt. Es gebe ganze 14 000 angemeldete Elektrofahrzeuge in Deutschland, sagte Matthias Machnig, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin.

Bis Ende dieses Jahres will die EU-Kommission eine Studie vorlegen, aus der die Auswirkungen einer weiteren CO2-Reduktion hervorgehen. Doch bereits Ende 2014 haben die Regierungen der beiden großen Autonationen Deutschland und Frankreich in einer gemeinsamen Aktion die Ampeln auf Rot gestellt: Neue Grenzwerte soll es danach nicht schon 2025, sondern erst im Jahr 2030 geben. Grund soll unter anderem die Einführung eines neuen Messstandards sein, der sich deutlich stärker als bisher an der Praxis orientiert. Die bisher eingesetzten Verfahren sind unglaubwürdig geworden, weil sie im Verdacht stehen, unrealistisch gute Emissionswerte auszuweisen.

Löckle und Brecht wehrten sich gegen den Eindruck, dass das Ziel mit der bestehenden Technik zu erreichen ist. Wie zur Bestätigung präsentierte Staatssekretär Machnig wenige Stunden später in Brüssel eine Studie der Technischen Universität Aachen: Der CO2-Ausstoß von Autos könne über die bisherigen EU-Ziele hinaus nur mit einer erheblich größeren Zahl von Elektrofahrzeugen gesenkt werden, heißt es in der Studie der Wissenschaftler des Instituts für Kraftfahrzeuge.

Die Experten kamen zudem zu dem Schluss, dass eine stärkere CO2-Reduzierung trotz damit verbundener Einsparung von Sprit von den Kunden kaum angenommen würde, weil die Kosten für die Autos stark steigen würden. Noch strengere Zielvorgaben müssten auch Rahmenbedingungen wie die Kostenentwicklung bei Batterien oder den Ausbau der Ladeinfrastruktur berücksichtigen. Machnig forderte daher von der EU-Kommission für die Zeit nach 2020 ein Konzept, das auch Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität umfasst.