Laut einer Studie wird es durch Stuttgart 21 eine erhöhte Störanfälligkeit und Fahrzeitverlängerungen im regionalen Nahverkehr geben.

Stuttgart - Bürgern in der Region Stuttgart, die keinen gesteigerten Wert darauf legen, künftig 20 Minuten schneller als bisher mit dem ICE nach Ulm zu kommen, macht die Bahn das Projekt Stuttgart 21 damit schmackhaft, es werde wesentliche Vorteile für den regionalen Schienenpersonennahverkehr mit sich bringen. Genau dies zweifeln die Grünen im Regionalparlament an: Laut einer von ihnen in Auftrag gegebenen Studie mehren sich die Indizien, dass im Gegenteil das S-Bahn-System durch Stuttgart 21 störanfälliger wird. Für die Grünen-Fraktionschefin Ingrid Grischtschenko wirft das die Frage auf, ob sich der 100-Millionen-Euro-Zuschuss der Region für S 21 rechtfertigen lässt.

 

Die Autoren der Expertise, der Bauingenieur und Ex-Grünen-Regionalrat Hans-Peter Kleemann sowie die S-21-kritischen Bahnexperten Sascha Behnsen und Roland Ryssel, haben sich als Grundlage für ihre Untersuchung das Stresstestgutachten des Schweizer Verkehrsgutachterbüros SMA zu Gemüte geführt. Die SMA-Experten hatten darin die Fahrplangestaltung für die S-Bahn im Zusammenhang mit Stuttgart 21 als angespannt bewertet. Als Hauptursache dafür haben Kleemann, Behnsen und Ryssel den neuen S-Bahn-Halt Mittnachtstraße und den neuen Tunnel von Bad Cannstatt zur Mittnachtstraße ausgemacht. Durch die damit einhergehende Fahrzeitverlängerung komme es zu den Hauptverkehrszeiten insbesondere auf den Strecken mit Mischbetrieb (Fern-, Regional- und Nahverkehr) zu erheblichen Konflikten auf diversen Abschnitten in der Region. "Der Mischverkehr auf der Remsbahn, Murrbahn und Gäubahn mit teilweiser Eingleisigkeit sorgt für viele neue Abhängigkeiten, die das System störanfällig machen", heißt es in der Studie. Schon geringste Verspätungen führten dazu, dass das System aus dem Takt komme.

Autoren der Studie bemängeln das Notfallkonzept

Grundsätzlich bemängeln die Autoren, dass der S-Bahn-Verkehr zwar in die SMA-Simulation für den Stresstest einbezogen gewesen, die Betriebsqualität des Nahverkehrs aber nicht ermittelt worden sei. Gleiches gelte auch für das von der Bahn vorgelegte Notfallkonzept für die S-Bahn, das vorsieht, im Störfall drei Linien durch den geplanten Tiefbahnhof zu leiten. Die Auswirkungen dieses Manövers seien im Stresstest nicht simuliert worden. Dies sei aber notwendig, um die Praxistauglichkeit beurteilen zu können: "Ein Notfall ist schließlich keine Ausnahme, sondern kommt 60- bis 100-mal pro Jahr vor", so der Sprecher der Grünen im Verkehrsausschuss, Mark Breitenbücher.

Auch die geplante Neuordnung der S-Bahn-Linien, die ursprünglich dazu gedacht war, zusätzliche Zeitreserven im S-Bahn-Verkehr zu schaffen, werde durch Fahrzeitverlängerung und Umsteigezwang für Ziele südlich der Haltestelle Schwabstraße für Passagiere der Linien S1, S2 und S3 "erkauft", heißt es in der Studie.

Kommen weitere Kosten auf den VRS zu?

Völlig offen sei auch, welche finanziellen und rechtlichen Folgen der im Schlichterspruch von Heiner Geißler verfügte Erhalt der Gäubahnstrecke habe. Unklar sei auch, wie die Gäubahn an den Tiefbahnhof angebunden werden solle. Zudem muss laut Studie zwischen Zuffenhausen und Feuerbach eine eingleisige Überleitung gebaut werden, damit die S6 überhaupt über die Fernbahngleise in den Tiefbahnhof einfahren kann. Diese Verbindung sei in der Planfeststellung für Stuttgart 21 nicht enthalten. Hier stelle sich die Frage, ob dadurch weitere Kosten auf den Verband Region Stuttgart (VRS) zukämen. Dies gelte ebenso für zusätzliche Signalanlagen.

Für die Grünen-Fraktionschefin Grischtschenko steht fest: "Stuttgart 21 wurde uns mit dem Argument Fahrzeitverkürzungen verkauft - jetzt tritt bei der S-Bahn das Gegenteil ein." Die Grünen wollen deshalb im Verkehrsausschuss eine Debatte darüber, ob die 100 Millionen Euro Finanzierungsanteil aus dem Verbandsetat für S 21 richtig angelegt sind. Auch die Forderung nach einer Rückzahlung der ersten beiden Jahrestranchen in Höhe von insgesamt 25 Millionen Euro steht im Raum. Eine Sprecherin des Regionalverbandes erklärte, das Gutachten liege der Verbandsspitze noch nicht vor. Man werde die "Interpretation des SMA-Testats" aber genau prüfen.

Die Studie können Sie hier nachlesen.