In diesem Jahr gibt es so viele Äpfel wie lange nicht mehr. Doch weder Obstbauern noch Keltereien freuen sich darüber. Denn wegen des Überflusses fallen die Preise ins Bodenlose – der Naturschutzbund diskutiert über einen Lieferboykott.

Kreis Ludwigsburg - Beim größten Safthersteller im Kreis Ludwigsburg, der Markgröninger Firma Kumpf, gibt es in diesem Jahr gar kein Geld für Streuobst. Die Saft-Manufaktur Rösch aus Ludwigsburg zahlt gerade mal vier Euro pro 100 Kilogramm Äpfel, Fruchtsaft Bayer aus Ditzingen gar nur drei Euro – selbst die Initiative Möglinger Apfelsaft legt für den Doppelzentner nicht viel mehr auf den Tisch. Der Grund dafür ist ein gigantischer Überfluss an Äpfeln, der einen massiven Preisverfall auslöst. Das trifft vor allem die zahlreichen Bewirtschafter von Streuobstwiesen im Kreis. Denn der Aufwand für Pflege und Ernte ist hier hoch und lohnt sich nur bei entsprechenden Preisen. Diese gibt es aber nur bei den eigens dafür gegründeten lokalen Initiativen – also längst nicht für alle.

 

Angesichts dieser Situation überlegt offenbar mancher Obstbauer, die Äpfel in diesem Jahr gar nicht zu ernten. Genau das will der Naturschutzbund (Nabu) jedoch verhindern. Denn Streuobstwiesen seien ökologisch höchst wertvoll, ihre Pflege daher sehr wichtig, heißt es. Deshalb diskutiere man derzeit über einen Lieferboykott gegenüber Keltereien, die weniger als sechs Euro je 100 Kilogramm Äpfel zahlen, sagt Markus Rösler, der Sprecher des Bundesfachausschusses Streuobst des Nabu und Landtagsabgeordneter der Grünen aus Vaihingen an der Enz. Denn dieser Preis sei „unterhalb der Schamgrenze“, findet Rösler. Um betriebswirtschaftlich rentabel zu sein, müssten für den Doppelzentner Streuobst 20 bis 25 Euro gezahlt werden.

Boykott wird skeptisch gesehen

Außer dem Nabu hält jedoch kaum jemand etwas von einem Boykott – am allerwenigsten naturgemäß die Keltereien selbst. Albrecht Kumpf, geschäftsführender Gesellschafter des gleichnamigen Saftherstellers, sieht sich im Dilemma. Denn in diesem Jahr komme einfach alles zusammen. Es gebe nicht nur eine Rekordernte, sondern weitere Faktoren, die zu einem kaum zu bewältigenden Überfluss an Äpfeln führten: das Import-Verbot Russlands, eine Apfelschwemme aus Polen, Restbestände aus dem Vorjahr und einen rückläufigen Absatz auf dem Saftmarkt. Seine Tanks seien ohnehin noch halb voll, nun müsse er zusätzliche Lagerflächen für die zu erwartenden Obstmassen anmieten.

Er würde liebend gern den „fleißigen Leuten, die das Streuobst aufsammeln“ einen höheren Preis für ihre Ernte zahlen, sagt Kumpf. Aber als Firmenchef müsse er wirtschaftlich handeln: „Ich kann nicht so tun, als würde mich der internationale Preis nicht interessieren.“ Und dieser liege dieses Jahr bei „ganz miesen“ vier Euro. Das sei so niedrig, dass er sich weigere, den Streuobstbewirtschaftern einen solchen Preis auch nur anzubieten. Bei Kumpf habe man sich deshalb entschieden, vorerst nur auf Lohnmost zu setzen: Für 100 Kilo Obst gebe es im Tausch 60 Liter Saft – mit Rabatt auf die Verarbeitungskosten.

„Die Sache fängt beim Konsumenten an“

Doch auch bei den Streuobstinitiativen, die nach den Nabu-Plänen langfristig von einem Lieferboykott profitieren sollen, sieht man eine solche Aktion kritisch. Schließlich müssten die Obstbauern ihre Früchte ja loswerden. Und wenn die Keltereien nicht genügend Obst geliefert bekämen, kauften sie es aus dem Ausland dazu. Zudem seien letztlich nicht die Keltereien Schuld am Preisverfall, so der Tenor. „Die Sache fängt beim Konsumenten an“, sagt Roswitha Moz vom Projekt Möglinger Apfelsaft. Wenn die Leute keinen höheren Preis für regionale Streuobstsäfte zahlen wollten, sei auch ein Boykott sinnlos.

Die Projekte im Kreis laufen dennoch sehr gut. In Zeiten miserabler Marktpreise sind sie gefragter denn je. Bei der Vaihinger Initiative, bei der man die Annahmemenge in diesem Jahr bereits auf 60 Tonnen verdoppelt hat, gibt es bereits eine Warteliste mit weiteren 40 abgabewilligen Obstbauern. In Bietigheim-Bissingen liefern seit Jahren etwa 30 Bewirtschafter bis zu 25 Tonnen Streuobst an, die Arbeitsgemeinschaft Steinheimer Streuobstwiesen hat 60 bis 70 Vertragspartner. Nur in Ditzingen läuft die Streuobstinitiative infolge der Insolvenz eines Saftproduzenten kaum noch.

Überblick: mehr Geld für fleißige Streuobsthelfer

Projekte
: Im Kreis Ludwigsburg gibt es fünf Initiativen, die für Streuobst aus der nahen Umgebung einen Aufpreis zahlen. Damit soll die Bewirtschaftung der ökologisch hochwertigen Streuobstwiesen attraktiver gemacht werden. So wird bei der Streuobstinitiative Vaihingen/Enz, die mit dem Getränkehersteller Ensinger kooperiert, konsequent 20 Euro für den Doppelzentner gezahlt. Die Steinkauz-Initiative in Oberstenfeld, Beilstein und Ilsfeld zahlt stets das Doppelte des Marktpreises, der Verein Bietigheimer Apfelsaft sieben Euro mehr als der Marktpreis. Auch andere Initiativen wie die in Steinheim/Murr oder das Projekt Möglinger Apfelsaft kaufen Obst zu einem Aufpreis.

Ditzingen
: Auch in Ditzingen gab es eine Streuobstinitiative, die mit dem örtlichen Fruchtsafthersteller Bayer kooperiert hat. Allerdings musste Bayer Anfang des Jahres Insolvenz anmelden, deshalb werden hier dieses Jahr gar keine Aufpreise gezahlt. Derweil sucht man in der Nachbarstadt Gerlingen Helfer für eine konzertierte Ernteaktion.