Dessous, Musik und ganz viel nackte Haut: Andrea aus Rumänien strippt in einer Stuttgarter Bar - dabei ist sie eigentlich schüchtern und streng katholisch.

Stuttgart - Es ist Montagabend, und Andrea möchte sich ausziehen. Sie rutscht vom Barhocker herunter und gibt dem DJ ein Zeichen. Aus den Boxen dröhnt laute Rockmusik, Kunstnebel wabert durch die Luft. Andrea geht zur kleinen Bühne in der Mitte. Sie beginnt, die Hüften zu bewegen, langsam, dann immer schneller. Sie streicht sich durch die blonden Haare, über ihre vollen Brüste.

 

Ihr Oberteil fällt zu Boden, direkt neben ihre Füße, doch sie schaut nicht hin, sondern zupft an ihrem rosa Höschen, zieht es ein wenig weg vom Körper und zwinkert. Vielleicht lässt sie es auch noch fallen, heißt das, vielleicht dürfen die Menschen alles von ihr sehen, aber nur, wenn sie Glück haben. Sie macht eine Drehung, plötzlich ist das Höschen auch weg, sie steht völlig nackt auf der Bühne und lächelt.

„Das ist eure letzte Chance, das Lied ist gleich zu Ende, lasst die Dollars regnen, Leute“, ruft der DJ ins Mikrofon, Andrea lächelt dazu, aber nichts passiert. Keine Geldscheine. Andrea sammelt ihre Dessous ein und geht von der Bühne. „Montags ist nie so richtig viel los“, sagt sie und zuckt mit den Schultern, „da sind die Männer bei der Familie und haben keine Zeit, ihr Geld im Stripclub auszugeben.“

Vom Schwarzen Meer nach Stuttgart

Andrea hat einen rumänischen Nachnamen, den sie nicht nennen möchte. Sie ist 25 und kennt sich aus, mit Männern, Stripclubs und Geld. Vor drei Jahren ist sie von ihrer Heimatstadt am Schwarzen Meer nach Stuttgart gezogen, seitdem zieht sie sich in der Tahiti Bar aus. Sechs Tage die Woche, neun Stunden pro Nacht, nur sonntags hat sie frei.

Nach ihrem Strip zieht sich Andrea zurück. Mit ihren Dessous in der Hand verschwindet sie in ein Hinterzimmer, die Umkleide der Stripperinnen. Rechts hängt ein Regal, links ein großer Spiegel und darüber klebt ein Schild, eine dezente Erinnerung: „Bitte den Slip in den letzten 30 Sekunden der Show ausziehen!!!“ Andrea hat ihre Pflicht getan, jetzt streift sie die Wäsche wieder über. Sie greift ihre Tasche, trägt sorgfältig Lipgloss auf – bereit für den angezogenen Teil des Jobs.

Die Männer, die bisher nur gratis geschaut haben, sollen jetzt Geld ausgeben. Andrea muss sie dazu bringen, ihr viele Drinks zu kaufen. Sie verwickelt sie in ein Gespräch, flirtet mit ihnen und spielt ihnen ihre Traumfrau vor: „Ich gucke, was er will, und dann versuche ich, für ihn genau das Mädchen zu sein, das er sich schon immer gewünscht hat.“

Verführerisch auf Kopfdruck

Das fällt ihr leicht, denn Andrea ist klug. Sie spricht fünf Sprachen, hat einen Uni-Abschluss, und wenn das nicht reicht, dann verlässt sie sich auf ihren Körper, dann reißt sie die dick mit Kajal umrandeten Augen auf und guckt unschuldig. Andrea kann hervorragend unschuldig gucken. Sie ist eine gute Stripperin, sie kann auf Knopfdruck fröhlich sein oder verführerisch, sie gibt den Männern ein angenehmes Gefühl und genau so viele Geschichten aus ihrem Leben, dass sie sich ihr nahe fühlen. Andrea kann gut Geschichten erzählen.

Ihre eigene geht so: Die kleine Andrea wächst in der rumänischen Stadt Constanta in bitterer Armut auf. Im Fernsehen sieht sie schöne Dinge, Barbiepuppen und Süßigkeiten, aber sie kriegt nichts davon, weil das Geld nicht reicht. Mit 22 geht Andrea nach Deutschland. Sie ist Tierärztin und will eine Praxis im gelobten reichen Land eröffnen. Aber dafür braucht es viel Geld, und mit nacktem Tanzen verdient sich das am leichtesten.

Erst hat sie Angst, sie glaubt nicht, dass sie jemals vor fremden Männern nackt, nur in hohen Schuhen, auftreten kann. Bei ihrem ersten Auftritt trägt sie Chucks-Turnschuhe, damit sie nicht einfach umfällt. Die neuen Kolleginnen machen ihr Angst, sie wirken alle so selbstbewusst und schön, und Andrea steht daneben und kennt niemanden, und niemand wirkt, als wolle er sie kennenlernen.

Finanzen zerstören jede Erotik

Doch irgendwie irgendwann muss sie sich zusammengerissen haben. Andrea kann das selbst nicht genau erklären. Sie hat gelernt, auf hohen Schuhen zu gehen. Fremden Männern in die Augen zu schauen und ihnen weiszumachen, sie fühle sich von ihnen erregt. So viel Alkohol zu trinken, dass ihre Verehrer immer neue Drinks bestellen. Jede Nacht ist sie da, jede Nacht verdient sie gut. Wie viel, will sie nicht sagen. Über Geld spricht man nicht in der Tahiti Bar, Finanzen zerstören jede Erotik. Und ohne Erotik geht der Laden pleite.

Mittlerweile hat sich die Bar gefüllt, einige Männer sitzen an den Tischchen und starren gierig auf die Bühne. Dort bewegt sich eine dunkelhaarige Kollegin von Andrea im kurzen glitzernden Paillettenkleid zu der Melodie von „Private Dancer“. Sie hat genau dieselben Gesten drauf wie Andrea, sie lächelt ununterbrochen, zwinkert, streichelt über ihren Körper. Ein älterer Herr mit Bauch und Brille kann seinen Blick kaum von ihr abwenden.

„Der ist besetzt“, sagt Andrea und schaut sich nach anderen potenziellen Kunden um. Zwei japanische Geschäftsleute gucken interessiert zurück. Andrea lächelt sie an. „Asiaten sind sehr großzügig“, sagt sie, leckt sich über die Lippen und streicht sich durch die Haare, „die mögen das deutsche Bier, dann lassen sie richtig die Sau raus!“

Ein Lächeln für den großzügigen Japaner

Mit schwingenden Hüften geht Andrea auf die Japaner zu. Sie flüstert dem älteren etwas ins Ohr, dann klettert sie auf den Tisch und zieht ihr Oberteil aus. Der Mann steckt sich einen Geldschein in den Mund und schiebt ihn zwischen Andreas Brüste. Sie lächelt ihm zu, als habe noch nie ein Mann etwas Schöneres für sie getan. Die Japaner stehen auf, zahlen ihre Getränke und verabschieden sich.

Andrea setzt sich auf einen Sessel, dicht neben den Tisch, an dem ihre Kollegin mittlerweile dem bebrillten Dicken auf dem Schoß herumklettert. Der Mann sieht aus, als er stehe er kurz vor einem Herzinfarkt – vor lauter Freude. Er stiert die Frau an und streichelt sie, sein massiger Körper zittert vor Erregung.

Mehr als Zittern passiert nicht. „Wir sind Tänzerinnen, keine Nutten“, sagt Andrea und beobachtet die beiden am Nebentisch gelangweilt. Private Tänze gibt es, aber mehr auch nicht, das schwört Andrea. Und sie hat die Logik auf ihrer Seite. Warum sollte sie Sex verkaufen, wenn sie auch so genug verdient?

2000 Euro für größere Brüste

Genug, dass sich Andrea all die Wünsche erfüllen kann, die in Rumänien undenkbar waren. Designerkleidung, Schuhe, Handtaschen, Maniküre, ein Yorkshire-Terrier-Hündchen, Zigaretten. Die Pläne für die eigene Tierarztpraxis gibt es auch noch, klar, dafür hat sie mit dem Job als Tänzerin ja überhaupt erst angefangen. Aber sie sind unwichtiger geworden, je länger Andrea in der Bar arbeitet. Und wie viel so eine Praxis kostet, das weiß Andrea gar nicht. Sie wollte sich informieren, wirklich, aber in den letzten drei Jahren hat sie es noch nicht geschafft.

Stattdessen hat sie sich für 2000 Euro die Brüste vergrößern lassen, von A auf ein volles B-Körbchen, das passt zu ihrem neuen Ich, und es bringt auch mehr Geldscheine. „Früher war ich unsicher, das glaubt mir heute niemand mehr, weil ich mich verändert habe durch die Arbeit hier“, sagt sie, und wirkt so überrascht über sich selbst, dass man ihr zum ersten Mal wirklich glaubt.

„Meinen Eltern habe ich erst nach einem Jahr gesagt, dass ich hier in der Bar arbeite, vorher habe ich mich nicht getraut“, fügt sie noch hinzu, aber merkt sofort, dass sie zu viel gesagt hat. Zu viel Privates, zu viel Echtes. Sie steuert schnell gegen: „Meine Mama war dann hier und fand es super.“

Sonntags in die Kirche

Ohnehin ist Andreas Leben ganz toll, viel besser als früher. Und viel harmloser, als alle denken. Sie ist katholisch und geht jeden Sonntag in die Kirche. Gott findet das Strippen okay. Es hilft ihr finanziell unabhängig zu sein und ist harte Arbeit, das verdient Respekt, auch vom Allmächtigen. Andrea tut nichts Böses, sie verkauft nicht ihren Körper, schläft nicht mit den Kunden, gibt niemals ihre Telefonnummer heraus. Sex hatte sie das letzte Mal vor einem halben Jahr, mit ihrem Freund, der mittlerweile ihr Ex-Freund ist.

„Männer können es nicht haben, dass andere Männer mich nackt sehen, und dann machen sie Schluss“, erklärt sie und lacht extra laut, weil es ihr egal ist. Sie ist nicht mehr das schüchterne Mädchen in Turnschuhen, sie ist jetzt stark, emanzipiert und Besitzerin von 18-Zentimeter-High-Heels. Sie kommt klar ohne Mann. Andrea wartet einfach auf den nächsten, den einen, der ihre Arbeit akzeptiert und die Person, die sie geworden ist.

Tauschen will sie mit niemandem auf der Welt: „Ich liebe meinen Job“, sagt sie. Und: „Warum sollte ich wieder werden wie früher? Mir geht es jetzt doch so viel besser!“ Nur unter einer einzigen Bedingung würde sie jetzt noch mit dem Strippen aufhören: wenn sie sich verliebte. In einen Mann, den sie heiraten kann. Der ihr die Welt zu Füßen legt, der sie so nimmt, wie sie ist. Einen, der niemals in einen Stripclub gehen würde.