Knapp 20 Millionen investiert der Zweckverband Strohgäubahn in die Sanierung seiner Strecke, unter anderem in den barrierefreien Umbau einiger Haltestellen im vergangenen Sommer. Doch Rollstuhlfahrer können trotzdem nicht ohne Hilfe einsteigen. Schuld sind die EU und fehlende Angebote von Herstellern der Schienenfahrzeuge.

Korntal-Münchingen - Die Wettbewerbshüter der EU sind mal wieder schuld. „Wir sind beim Umbau der Strohgäubahn mit dem Anspruch auf Barrierefreiheit angetreten“, sagte Guntram Schremp, SPD-Stadtrat aus Korntal-Münchingen, am Dienstag bei der Versammlung des Zweckverbands Strohgäubahn. Aber trotz des Umbaus einiger Haltestellen im Sommer gebe es für Rollstuhlfahrer ein Problem. Tatsächlich: nun sind zwar die Zugänge zu den Haltestellen ebenerdig und die Bahnsteige auf eine Höhe von 60 Zentimetern gebracht worden – sie passen aber nicht zu den Fahrzeugen der Strohgäubahn. Zwischen beiden ist ein bis zu 25 Zentimeter breiter Spalt.

 

Grund für die Lücke sind laut dem Zweckverbands-Geschäftsführer Axel Meier die Wettbewerbsvorschriften der EU. Als öffentliche Bahnstrecke müsse die Strohgäubahn allen potenziellen Nutzern zur Verfügung stehen. Deshalb sei der Abstand zwischen Gleis und Bahnsteigkante so gewählt, dass alle in Deutschland zugelassenen Fahrzeuge die Strecke nutzen können. „Unsere Regio-Shuttles nutzen die zulässige Maximal-Breite für Schienenfahrzeuge nicht aus“, so Meier, „deshalb können wir das technisch nicht lösen.“

Bei der Ausschreibung der Fahrzeuge habe man zwar gefordert, eine Spaltüberbrückung anzubieten, es habe aber kein entsprechendes Angebot gegeben. Und für den erfolgreichen Bieter wäre bei der nötigen technischen Änderung die Bauartzulassung für den Fahrzeugtyp erloschen.

Nur mit einer Rampe geht es über den Spalt

Für Rollstuhlfahrer wie Wolfgang Blanz sind besagte 25 Zentimeter eine unüberwindliche Distanz, wie das „Barrierefrei-Team“ der Stadtteilrunde Seniorenarbeit am Dienstag am Münchinger Bahnhof zeigte. Dazu komme noch ein Höhenunterschied von drei bis zehn Zentimetern, je nach Haltestelle. Auch innerhalb eines Bahnsteiges, so Blanz, wichen die Werte ab. Der Tritt, der beim Öffnen der Türe ausfährt, bringe ihm nichts – denn dieser befinde sich einige Zentimeter unterhalb der Fahrzeug- und der Bahnsteigkante. Und er ist nicht der einzige, dem der Spalt Probleme macht. So habe er eine Mutter beobachtet, deren Kinderwagen in den Spalt kippte. „Das Kind war zum Glück angeschnallt.“

Die einzige Lösung, die angeboten werde, sei eine Faltrampe zur Überbrückung. Das sei jederzeit machbar, erklärte ein Lokführer gegenüber der Stadtteilrunde. Blanz indes hatte bei einer Anfrage von der Strohgäubahn die Auskunft bekommen, dass er sich für dieses Hilfsmittel einen Tag vorher anmelden müsse. Rampen, sagt Jutta Pagel-Steidl vom Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung, seien schön und gut, aber nur eine Notlösung. Sie habe in ihrer damaligen Stellungnahme, als es um den Umbau ging, auf das Spaltenproblem hingewiesen. Die Bahnsteigplanungen an sich seien gut gewesen („das, was sie machen konnten, haben sie gemacht“).

Otto Koblinger, Vorsitzender des Sozialverbands VdK und ebenfalls Teil des Barrierefrei-Teams, fragte sich zudem, wie der enge Takt eingehalten werden könne, wenn die Rampe im vordersten Zugteil liege, ein Rollstuhlfahrer aber am zweiten Zugteil warte. Und sein Kollege, der katholische Pastoralreferent Jörg Maihoff, forderte eine Kommission. „Diese Erwartung ist da, vonseiten der Bevölkerung und auch der Kirche. Wir lassen da nicht locker.“

Lösung mit der Rampe ist „etwas mittelalterlich“

Kritik an dem Verfahren („etwas mittelalterlich“) übte im Zweckverband auch der Korntal-Münchinger Bürgermeister Joachim Wolf. „Wir haben gedacht, es gibt ein Trittbrett, das hochfährt“, hatte er sich am Vormittag am Münchinger Bahnhof an die Präsentation der Umbaupläne erinnert. Womöglich sei eine Art Klapprampe am Bahnsteig eine Alternative. Am Nachmittag sicherte Meier in der Versammlung zu, „alle Möglichkeiten zu prüfen“.

Beim Hersteller der auf der Strohgäubahn eingesetzten Regio-Shuttles sieht man die Faltrampe als die praktikabelste Lösung. Denn wegen der unterschiedlichen Bahnsteighöhen sei es schwierig, ein Trittbrett auf dieses Niveau zu bringen, auch wenn es Sensoren gebe, die die Höhendifferenz vermessen und ausgleichen könnten, so Katrin Block von Stadler Rail. „Es gibt technisch ganz ganz viele Möglichkeiten. Aber das kostet Geld.“

Neues vom Bähnle aus der Zweckverbandsversammlung

Werkstatt
Mit dem Bau der rund 6,2 Millionen Euro teuren Werkstatt für die Strohgäubahn am Bahnhof Korntal wurde im Frühsommer begonnen. Im April soll das Bauwerk fertig sein, der Umzug von der bisherigen Werkstatt in Weissach (Kreis Böblingen) ist für Mai/Juni geplant. Ein Anwohner will den Zweckverband per Klage zum Bau einer Lärmschutzmauer zwingen. Der Zweckverband ist nach eigenen Angaben dabei, den Einbau von Lärmschutzfenstern an den Anrainerhäusen zu regeln.

Lärm
Um die Lärmbelastung für die Anwohner des Korntaler Bahnhofs zu verringern, will der Zweckverband dort eine Schienenschmieranlage installieren. Die Kosten liegen laut der Betreibergesellschaft WEG bei rund 25 000 Euro. Damit soll das nicht nur von der Strohgäubahn, sondern auch von DB-Zügen verursachte „Schienenkreischen“ verringert werden. Derzeit sollen Betrieb und Wirkung so einer Anlage noch geprüft werden. Wenn es wirkt, könnten vier weitere Stellen in Betracht kommen.

Pedelec
Kritik wurde im Zweckverband wegen einer deutlichen Kostensteigerung der Station für Elektrofahrräder am Bahnhof Schwieberdingen laut. Die Baukosten stiegen um rund 54 000 Euro auf 183 000 Euro. Das sei auf Planungsschwierigkeiten zurückzuführen, weil Schwieberdingen ein Pilotprojekt sei. Mehr Zuschüsse wolle die Geschäftsstelle „Nachhaltig mobile Region Stuttgart“ aber nicht zahlen. Man komme sich vor „wie ein Versuchskaninchen“, sagten einige Mitglieder der Verbandsversammlung. (mk)