Der Stuttgarter Gemeinderat hat Kriterien für die künftigen Netzgesellschaften erlassen. Nun spricht viel für die städtische Tochter als Haupteigentümerin. Sie wird aber einen starken zweiten Partner, vielleicht die EnBW, an die Seite bekommen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Die Suche nach einem neuen Eigentümer und Betreiber der Strom-, Gas- und Fernwärmenetze in Stuttgart geht in die heiße Phase. Am Mittwoch hat der zuständige Unterausschuss des Gemeinderates in nichtöffentlicher Sitzung den sogenannten Zweiten Verfahrensbrief beschlossen: Darin konkretisiert die Stadt Stuttgart, wie sie sich die künftigen Verträge und das unternehmerische Konzept vorstellt – die sechs verbliebenen Bewerber (Alliander, EnBW, EWS/Stadtwerke Hall, Stadtwerke Stuttgart, Thüga AG, Veolia/LHI/BS Energy) können unter diesen Vorgaben nun ein konkretes Angebot abgeben. Wer die Konzessionen und in Folge die Netze dann erhält und betreibt, wird im Herbst beschlossen. Die Sitzung markierte aber schon eine Vorentscheidung.

 

OB Fritz Kuhn (Grüne) hatte immer dafür geworben, dass dieser Beschluss mit großer Mehrheit im Gemeinderat getroffen wird – aus politischen Gründen, um diese Entscheidung von großer Tragweite und einigem Risiko auf breite Schultern zu verteilen, und aus juristischen Gründen, um Anfechtungen von unterlegenen Bewerber unwahrscheinlicher zu machen. Dieser große Konsens scheint nun gelungen zu sein. Nach mehrstündigen Gesprächen haben sich die Fraktionen – dem Vernehmen nach, denn kein Beteiligter konnte wegen des laufenden Verfahrens etwas sagen – auf diese Eckpunkte geeinigt:

Eigentumsverhältnisse Die Bürgerinitiative „Stadtwerke Stuttgart e. V.“ hatte gefordert, dass auch bei den Netzen die Vorgabe „100 Prozent kommunal“ gilt. Dafür standen mit gewissen Einschränkungen auch die Grünen und vor allem die Linke/SÖS. Die CDU dagegen plädierte dagegen immer für einen starken Partner, der Erfahrung im Betrieb der Netze hat – vorzugsweise also für die EnBW, dem die 4500 Kilometer langen Stromleitungen auf Stuttgarter Gemarkung gehören. Nun hat man sich wohl darauf geeinigt, dass der Haupteigentümer – das sollen nach dem Wunsch aller die Stadtwerke Stuttgart sein – in der neuen Eigentümergesellschaft 50,1 Prozent erhalten soll, der Partner 49,9 Prozent. Möglichst „zeitnah“ soll der Haupteigentümer 74,9 Prozent erreichen – der Begriff wurde aber wohl nicht näher bestimmt.

Netzbetrieb Für Grüne und wohl auch für die SPD ist es wichtig, dass die Stadtwerke möglichst schnell auch im täglichen Geschäft des Netzbetriebs das Sagen haben. Für die CDU hatte dieser Punkt keine so große Bedeutung. Die EnBW habe beim Strom- und Wassernetz bewiesen, dass sie den Betrieb sehr gut hinbekomme, hörte man oft. Der Kompromiss sieht nun anscheinend so aus, dass der Haupteigentümer – im Idealfall die Stadtwerke – zunächst 25,1 Prozent an der Netzbetreibergesellschaft übernimmt, da er zunächst gar nicht in der Lage wäre, das Netz zu betreiben. Der kleinere Partner, also vielleicht die EnBW, erhielte 74,9 Prozent. Zunächst würde so der Netzexperte das operative Geschäft fast alleine verantworten.

Vertragsende Der linke Teil des Gemeinderates war der Ansicht, dass die Stadtwerke nach einer gewissen Lernphase auch den Betrieb der Netze alleine übernehmen sollen; die CDU konnte sich das ebenfalls vorstellen, wollte aber zumindest im Vertrag eine Option haben, bei Bedarf nochmals zu verlängern. Auch in diesem Punkt ist man aufeinander zugegangen. Es gibt nun eine klare, aber lange Frist, nach deren Ablauf der „Machtwechsel“ beim Betrieb stattfinden soll: Nach zehn Jahren sei der Haupteigentümer so weit, den Betrieb zu übernehmen. Nach einer Dekade soll dieser deshalb 50,1 Prozent halten. Erst 2024 würden die Stadtwerke also in Eigentum und Betrieb Mehrheit haben.

Entschieden wird aber erst im Herbst – die eingehenden Angebote werden dann nach einem festen Punkteschlüssel bewertet, auf den der Gemeinderat keinen Einfluss mehr hat. Es ist also durchaus nicht gewiss, dass die Stadtwerke mit der EnBW das Rennen machen – diese Option ist aber seit Mittwoch wahrscheinlicher. Es gebe aber durchaus noch einen zweiten aussichtsreichen Bewerber, heißt es. Für das Stromnetz wird ein Kaufpreis von 105 Millionen Euro angenommen, für das Gasnetz ein Preis von 80 Millionen Euro.

Die technische Entflechtung des Netzes vom übrigen EnBW-Netz außerhalb Stuttgarts müsste aber auch dann erfolgen, wenn sich die Stadt mit Stadtwerken und EnBW handelseinig würde. Denn nur dann kann die Menge des durchgeleiteten Stroms, aus der die Höhe Netzentgelte resultiert, richtig berechnet werden. Manche Bürgermeister und Stadträte gehen auf jeden Fall davon aus, dass ein Teil der künftigen hohen Einnahmen aus den Konzessionen verwendet wird, um den Strompreis in Stuttgart zu senken – jedenfalls für die Kunden der Stadtwerke.

Ein Problem könnte dagegen für die Elektrizitätswerke Schönau (EWS) entstehen, wenn die EnBW das Rennen machen sollte. Denn dann säßen die „Stromrebellen“ plötzlich in einem gemeinsamen Energieverbund mit ihrem Widersacher. Viele Kunden könnten dies ihrer EWS nicht verzeihen. Vielleicht aus diesem Grund sind deshalb bisher erst 1500 der 10 000 Stuttgarter EWS-Kunden zu den Stadtwerken gewechselt. Sie warten erst mal ab, wie der Deal um die Netze ausgeht.