Städte und Gemeinden haben zusehends Schwierigkeiten, den Betreiber ihrer Strom- und Gasnetze zu wechseln. Wer versucht, einen Großkonzern rauszuwerfen, wird verklagt – und verliert oftmals.

Es hätte eine Traumhochzeit werden können. „Wir waren eine schöne Braut“, sagt der Freiberger Bürgermeister Dirk Schaible. Sieben Energieversorger hatten sich um die Konzession für das städtische Strom- und Gasnetz beworben. Die EnBW machte das Rennen – ein neuer Konzessionär. „Das allein zeigt ja schon, dass es ein echter Wettbewerb war“, sagt Schaible. Der Ex-Mann sah das anders: die Süwag-Tochter Syna als Altkonzessionär legte Beschwerde bei der Energiekartellbehörde ein. Notgedrungen hat der Freiberger Gemeinderat deshalb am Dienstagabend einstimmig beschlossen, erneut auf die Suche nach einem Bräutigam zu gehen. Sonst hätte ein Verfahren gedroht. Dass die Syna vorerst weiter Netzentgelte kassiert, aber kaum noch ins Netz investiere, findet Schaible „sehr fragwürdig“.

 

Es mag ein schwacher Trost für Schaible sein, dass seine Stadt in bester Gesellschaft ist. Noch vor Kurzem genügte es für eine Kommune, die Vergabe ihrer Konzessionen vom Gemeinderat absegnen zu lassen. Inzwischen werden dafür immer komplexere Verfahren mit detaillierten Vergabekriterien nötig. Sechsstellige Beraterkosten sind keine Seltenheit. Immer mehr Vergaben werden angefochten. Das Strickmuster ist meist ähnlich: Die Altkonzessionäre – oftmals die EnBW oder die Süwag – weigern sich, die Netze abzutreten. Es hat sich herumgesprochen, dass kaum eine Vergabe vor Gericht Bestand hat. Jüngstes Beispiel ist Filderstadt. Die Stadt wollte ihre Strom- und Gaskonzession an die Stadtwerke Reutlingen vergeben. Doch die beim Wettbewerb unterlegene EnBW-Tochter Netze BW klagte – und gewann. Das Landgericht Stuttgart verdonnerte die Stadt per einstweiliger Verfügung dazu, die Verfahren zu wiederholen.

Was bedeutet „Laufzeit“?

Der Fall gilt für viele Beobachter als besonders interessant. Die Verwaltung hatte bei der Vergabe vieles richtig gemacht, das bescheinigten ihr auch die Richter des Landgerichts Stuttgart. Die Vergabekriterien waren eng an den Musterkatalog der Energiekartellbehörde angelehnt. Doch die Richter fanden auch dort formale Haare in der Suppe. Zum Beispiel das Kriterium „Laufzeit“. Es gilt in Fachkreisen als bekannt, dass längere Laufzeiten für Kommunen eher unerwünscht sind. Doch nach Ansicht der Richter fehlt einer Erklärung, in welcher Form die Laufzeit des Vertrags sich auf das Punktekonto der Bieter auswirkt. Mangels Erfolgsaussichten hat die Stadt auf eine Berufung verzichtet.

Einen zu Freiberg spiegelverkehrt gelagerten Fall findet man in der Gemeinde Korb (Rems-Murr-Kreis). Hier ist die EnBW Konzessionär, die Süwag will das Gasnetz mit der Gemeinde betreiben. Doch die EnBW weigert sich, es herauszurücken. Jetzt hat die Süwag den Konkurrenten, mit Rückendeckung der Gemeinde, verklagt. Beispiel Süßen: die Stadt im Kreis Göppingen will ihr Gasnetz an die EnBW vergeben. Allein: die Göppinger Energieversorger EVF verweisen auf das Filderstadt-Urteil und rücken es nicht raus. Die Gemeinde wurde inzwischen richterlich zur Vergabe-Wiederholung verdonnert.

Kampf um jeden Meter Netz

Früher, als die meisten Kommunen bei ihrem Altkonzessionär blieben und es den großen Energieversorgern noch gut ging, herrschte Ruhe. Heute wollen immer mehr Kommunen über eigene Stadtwerke ihre Energiepolitik selbst bestimmen, mit effizienten Netzen und Nahwärmeversorgung. Gleichzeitig macht die Energiewende den großen Versorgern zu schaffen, die Süwag stand jüngst gar zum Verkauf. Also wird um jeden Meter Netz gekämpft.

Doch weil das Energiewirtschaftsgesetz zwar allgemeine Grundsätze festschreibt, sich aber über die Vergabe kommunaler Stromkonzessionen weitgehend ausschweigt, müssen Richter über die Vergaben entscheiden. Für eine Reform des Gesetzes fand sich auf Bundesebene bislang keine Mehrheit. Der Freiberger Bürgermeister Dirk Schaible ist nicht der Einzige, der Probleme mit der Energiekartellbehörde hat. In der Hoffnung darauf, dass die Fachleute im Umweltministerium von Franz Untersteller (Grüne) Klarheit schaffen können, laden Kommunalpolitiker die Ministerialbeamten zu Sitzungen ein. Auch Filderstadt hätte gerne eine Einschätzung der Behörde vor Gericht gehört. Allein: es kommt regelmäßig niemand.

Kartellbehörde glänzt durch Abwesenheit

Die großen Versorger hingegen können mit dieser Konstellation gut leben. Kritik am rechtlich schwammigen Zustand lassen die Konzernsprecherinnen jedenfalls nicht verlauten. Im Gegenteil: sollte die Freiberger Vergabe wiederholt werden, „dann werden wir uns wieder bewerben und erneut anstrengen“, teilt die EnBW-Sprecherin Angela Brötel mit. Im Übrigen werde nur ein sehr geringer Anteil der Konzessionsvergaben rechtlich angefochten.

Stimmt: es gibt auch noch Kommunen ohne energiepolitische Kleinkriege. Leinfelden-Echterdingen hat kürzlich ihre Gaskonzession vergeben. Gleiches gilt für Esslingen, wo die Vergabe bereits 2012 erfolgte. Die dortigen Kriterien waren weit weniger ausdifferenziert als etwa in Filderstadt. Beschwerden gab es aber keine: die Kommunen haben sich entschieden, weiterhin mit der EnBW zusammenzuarbeiten.

Kommentar: Die erpressbare Stadt

Ohne rechtliche Klarheit ist alles anfechtbar