Der deutschen Energiewende droht neues Ungemach: Die bayerische Landesregierung fordert ein Moratorium beim dringend notwendigen Netzausbau. Dabei sind gerade die Länder im Süden darauf angewiesen.

Stuttgart - Seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 hat Deutschland ehrgeizige Ziele: Bis zum Jahr 2022 sollen sämtliche Atomkraftwerke hierzulande vom Netz sein, bis 2050 soll nach bisheriger Planung 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien produziert werden. Da aber der Wind an den Küsten stärker und verlässlicher weht als im Binnenland, ergibt sich dadurch automatisch ein Transportproblem: Denn gerade im windärmeren Süden stehen die auszurangierenden Atommeiler.

 

Als Lösung sollen vier neue, Milliarden Euro teure Gleichstromleitungen entstehen, die in drei Korridoren Deutschland von Nord nach Süd durchqueren werden: eine Ultranet genannte Leitung, die im Westen von Niedersachsen über das Niederrheingebiet bis nach Philippsburg führen soll (wobei der nördliche Teil noch nicht geplant ist), und im Osten die sogenannte Gleichstrompassage Südost, für deren Verlauf von Lauchstädt in Sachsen-Anhalt nach Meitingen bei Augsburg der Netzbetreiber Amprion Ende Januar seine Ideen vorgestellt hat. In der Mitte schließlich soll der sogenannte Südlink verlaufen, der aus zwei Leitungen bestehen wird: die eine von Brunsbüttel an der Elbe nach Großgartach, einem Ortsteil von Leingarten bei Heilbronn, ist noch in Vorbereitung; für die zweite, die Windstrom vom Einspeisepunkt Wilster, nur wenige Kilometer von Brunsbüttel entfernt, ins unterfränkische Grafenrheinfeld und damit nach Bayern bringen soll, haben die Netzbetreiber TransnetBW und Tennet am Mittwoch einen Vorschlag vorgelegt. Das Besondere an dieser Leitung ist unter anderem, dass sie als Pilotprojekt dafür dienen soll, die Hochspannungskabel zumindest teilweise unter der Erde zu verlegen – was aber die Kosten auf das Vier- bis Sechzehnfache hebt.

Der Südlink soll aus zwei Leitungen bestehen

Vom Bau ist die mit mehr als 800 Kilometer längste der geplanten Gleichstromleitungen aber noch weit entfernt: Der Vorschlag enthält lediglich einen etwa einen Kilometer breiten Trassenkorridor, in dem die Leitung entstehen könnte – der genaue Verlauf ist noch unklar. Über ihn wird im nun bald folgenden Bundesfachplanungs- und dem anschließenden Planfeststellungsverfahren unter der Ägide der Bundesnetzagentur entschieden. Dabei ist auch eine regelmäßige Information und Anhörung der Öffentlichkeit vorgesehen. Konkreter dürfte es wohl frühestens 2016 werden.

Geht es nach dem bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU), ist offensichtlich auch das noch zu früh: Er forderte prompt ein Moratorium für den Netzausbau, dem er einst im Bundesrat selbst zugestimmt hatte, weil er nicht wolle, dass man „da in ganz Bayern herumfuhrwerkt“, bis nicht in Berlin von der großen Koalition die Reform der Ökostromförderung Gesetz geworden ist, sagte er in der Parlamentsdebatte im Maximilianeum.

Der Ministerpräsident schiebt damit die Reformpläne vor, die Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) jüngst für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) unterbreitet hat. Darin gefällt Bayern vor allem die begrenzte Förderung von Biomassestrom nicht. Das aber dürfte nicht der einzige Grund für Seehofers Einspruch sein. Eher befürchtet er wohl, die Stromleitungspläne könnten Bürgerproteste hervorrufen, die bei der Kommunalwahl am 16. März vor allem den Freien Wählern Zuwächse bescheren könnten – nicht aber der CSU.

Stromleitungspläne könnten Bürgerproteste hervorrufen

Seehofers Volte bedeutet auch einen Rückschlag für die Bemühungen des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne), über eine Wiederbelebung der Südschiene den Interessen des Landes bei der Energiewende Gewicht zu verleihen. Kretschmann und Seehofer hatten unlängst mit einer zum „Geheimtreffen“ stilisierten Zusammenkunft in Ulm Furore gemacht, die in ein Papier mündete, das in der vergangenen Woche von beiden Landesregierungen verabschiedet wurde. Darin geht es unter anderem um den Ausbau der Windkraft an Land, woran Grün-Rot in Stuttgart gelegen ist, und um die Förderung der Biomasse, an der Bayern liegt. Zu Stromleitungen, darauf weist das Stuttgarter Staatsministerium hin, sagt das Papier nichts. Weiter will man sich in der Regierungszentrale nicht äußern. Aber auch den Grünen im Südwesten ist klar, dass es sich schlecht mit jemandem paktiert, der über ein Moratorium für den Trassenbau die gesamte Energiewende blockiert. Für den SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel kommt das alles nicht überraschend. Er spricht von einem „typischen Beispiel, dass Seehofer, die CSU und Bayern immer nur an sich denken“. Ob die Energiewende vorankomme, sei ihnen „grad egal“. Seehofers Kalkül liege darin, mittels einer Blockade des Trassenausbaus die weitere Förderung der Biomasse in Bayern zu erpressen. Da gehe es um Milliardenbeträge. „Die Partnerschaft mit Bayern hilft Baden-Württemberg nicht weiter“, sagt Schmiedel, „denn sobald Seehofer seine Biomasse durchgesetzt hat, ist ihm alles andere schnuppe.“ An einem stärkeren Ausbau der Windkraft habe Seehofer kein Interesse. Baden-Württemberg solle sich lieber mit rot-grün oder schwarz-grün regierten Ländern wie Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz oder Hessen zusammentun. Da sei die Schnittmenge größer.