Der Übertragungsnetzbetreiber Transnet BW ringt um zwei Höchstspannungsleitungen in Baden-Württemberg. Ein Gutachten soll den Bedarf klären.

Hüttlingen - Goldshöfe im Ostalbkreis steht zurzeit im Mittelpunkt des Stromnetzausbaus im Land. Eine Höchstspannungsleitung soll Windstrom aus dem Norden Deutschlands in den Süden transportieren, bis ins Umspannwerk Goldshöfe bei Hüttlingen. Von dort soll eine zweite Höchstspannungsleitung eine Querverbindung schaffen nach Bünzwangen im Kreis Göppingen. Das ist der Plan des Übertragungsnetzbetreibers Transnet BW. Beide Stromtrassen seien notwendig, um im Zuge der Energiewende und der Abschaltung der Atomkraftwerke die Versorgungssicherheit im mittleren Neckarraum zu gewährleisten, lautet die Begründung.

 

Das sieht die Bundesnetzagentur anders. Sie ist zuständig für Planung, Genehmigung und beschleunigten Netzbau. Die Agentur hält die Nord-Süd-Stromautobahn für „nicht zwingend erforderlich“. Im überarbeiteten Netzentwicklungsplan 2013 wird die sogenannte HGÜ-Leitung (Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung) aus dem Kreis Segeberg (Schleswig-Holstein) nach Goldshöfe als „noch nicht bestätigt“ bezeichnet.

Minister Untersteller mahnt Versorgungssicherheit an

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, der zweite Entwurf des Netzentwicklungsplans liegt noch bis zum 8. November zur Konsultation aus. Der Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) appellierte deshalb an die Bundesnetzagentur, bei der Versorgungssicherheit Baden-Württembergs „keine Kompromisse“ einzugehen. Transnet BW und die Bundesnetzagentur müssten „zweifelsfrei nachweisen“, dass die Versorgungssicherheit im Südwesten auch ohne diese Leitung gewährleistet sei. Unter dieser Voraussetzung würde er den Wegfall der Übertragungsleitung mit Endpunkt Goldshöfe begrüßen. „Weniger Leitungsbau bei sicherer Versorgung ist allerdings eine gute Nachricht“, sagte der Minister. Er hält das Verfahren, die Netz- entwicklungsvorhaben regelmäßig zu überprüfen, für richtig und hat gefordert, auch die Netzstruktur insgesamt einer ständigen Überprüfung zu unterziehen.

Der Wegfall der HGÜ-Leitung nach Goldshöfe weckt nun große Hoffnungen im Ostalbkreis, im Rems-Murr-Kreis und im Kreis Göppingen. Dort wehren sich Bürgerinitiativen gegen die zweite Stromautobahn, die 380-kV-Leitung von Goldshöfe über den Schurwald nach Bünzwangen. Wenn weniger Windstrom aus dem Norden kommt, müsste auch nicht so viel gen Westen weiter transportiert werden, sagen die Kritiker. Ähnlich sieht das der Landtagsabgeordnete der Grünen im Kreis Göppingen, Jörg Fritz. Er mahnt einen „vernünftigen Netzausbau“ an. Fritz fordert, auch jene Stromtrassen vor Baubeginn auf den Prüfstand zu stellen, die bereits seit dem Jahr 2009 im Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) festgeschrieben sind. Das trifft für die Schurwaldtrasse zu.

Landrat Pavel: Gutachten soll Bedarf der Stromautobahn klären

Zweifel am Bedarf der Stromleitung hegen auch die Bürgermeister der 30 betroffenen Kommunen und die drei Landräte. Sie wollen gemeinsam ein Gutachten in Auftrag geben. Es seien noch zu viele grundsätzliche Fragen offen, sagt Klaus Pavel, der Landrat des Ostalbkreises. Bei einer derart massiven Veränderung der Landschaft durch Strommasten und Leitungen müsse geklärt werden, ob die schon lange geplante Leitung heute noch notwendig sei, ob alle Alternativen geprüft worden seien und wie bei Bedarf der konkrete Trassenverlauf aussehen solle.

Landrat Pavel will das weitere Verfahren besprechen und hat alle Beteiligten, darunter auch die Bürgerinitiativen und den Netzbetreiber TransnetBW, am 1. Oktober zu einem Gespräch gebeten. Diesem Treffen misst er große Bedeutung bei, wie er sagt. Er erhoffe sich Zusagen, dass der Netzbetreiber das Gutachten akzeptieren werde und vor allem, dass TransnetBW bis zur Vorlage der Ergebnisse kein rechtsverbindliches Planungsverfahren startet. „Das wäre ein Affront“, warnt Pavel.

Die Unternehmenssprecherin von TransnetBW, Angela Brötel, erinnert daran, dass die 380-kV-Leitung „gesetzlich vorgeschrieben“ sei. Der vordringliche Bedarf sei bereits 2009 im EnLAG festgestellt worden, zu einer Zeit also, als der Atomausstieg noch nicht beschlossen war. Die Leitung wurde damals schon für notwendig erachtet, um die Versorgungssicherheit im mittleren Neckarraum zu gewährleisten, erklärt Brötel. Dies sei im Zuge der Energiewende nun umso dringlicher.

TransnetBW will „nachvollziehbares Gutachten“ akzeptieren

Im Übrigen gebe es „ein großes Missverständnis“ in der Region. Das Dialogverfahren solle eine frühzeitige Bürgerbeteiligung ermöglichen und sei der förmlichen Anhörung im Planungsverfahren vorgelagert. Das „externe Gutachten“, das der Landrat angekündigt habe, werde man fachlich prüfen, sagte die Sprecherin. Sie kündigte aber an, dass das Planungsverfahren so lange nicht ausgesetzt werde könne. Man könne es sich nicht leisten, „ein halbes Jahr in der Projektentwicklung zu verlieren“. Gleichzeitig betonte Brötel, solle das Gutachten „für uns nachvollziehbar“ darlegen, dass die Trasse inzwischen nicht notwendig sei, werde das Projekt nicht weiterverfolgt. „Unser oberstes Ziel ist: wir bauen nur, was notwendig ist“, sagte sie.

Zurzeit arbeitet die TransnetBW an einer Stellungnahme an die Bundesnetzagentur, um die Notwendigkeit der abgelehnten HGÜ-Nord-Süd-Stromtrasse nachzuweisen. Die Bundesnetzagentur führt zwei Gründe für die Ablehnung an: Der Windstrom-Transportbedarf könne durch zwei weitere geplante HGÜ-Maßnahmen im „Korridor C“ von Schleswig-Holstein über Niedersachsen, Baden-Württemberg nach Bayern gedeckt werden, erläutert eine Sprecherin. Diese seien jetzt bestätigt worden, weil beide „eine bessere Wirksamkeit erzielten und deshalb besser geeignet“ seien. Dies betreffe das Projekt „C05“ von Brunsbüttel nach Großgartach im Landkreis Heilbronn, das bereits im ersten Netzentwicklungsplan 2012 aufgeführt worden war sowie die HGÜ-Verbindung „C06 modifiziert“ von Wilster in den Raum Grafenrheinfeld im unterfränkischen Landkreis Schweinfurt.

Der zweite Grund sei, dass die HGÜ-Leitung vom Norden nach Goldshöfe „nachträglich ins Spiel“ gebracht worden sei. Dadurch würden zwei weitere Strecken – die Netzverstärkung Raum Grafenrheinfeld nach Kupferzell sowie Kupferzell nach Großgartach, fraglich. Diese aber seien bereits im Bundesbedarfsplangesetz aufgeführt, erklärt die Sprecherin und betont, beim Netzausbau müsse darauf geachtet werden, dass sich die Leitungen „sinnvoll ergänzen“.