Im Zuge der Energiewende muss immer mehr Windstrom von Norden nach Süden transportiert werden. Hochspannungs-Gleichstromleitungen können dabei helfen.

Stuttgart - Vor der deutschen Küste werden die Windparks immer weiter draußen auf dem Meer gebaut, weil dort die Windausbeute besser ist. Damit aber bekommen die Elektroingenieure ein Problem: Wird das Kabel, das den Windmühlenstrom zur Küste transportiert, länger als etwa 80 Kilometer, dann funktioniert die traditionelle Übertragungsweise in Form von Wechselstrom nicht mehr. Wegen ungünstiger physikalischer Effekte – so wirkt das Kabel als Kondensator, der sich auflädt und damit Energie bindet – kommt bei einer größeren Leitungslänge auf der anderen Seite praktisch kein Strom mehr an. Somit wird eine andere Übertragungstechnik notwendig: die Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ).

 

Wenig Verluste beim Stromtransport

Neu ist diese Möglichkeit des Stromtransports nicht, es gibt sie schon seit mehr als 50 Jahren. Doch der technische Aufwand ist beachtlich, um den Wechselstrom in Gleichstrom und wieder zurückzutransformieren. Das schlägt sich auf die Kosten nieder, die etwa doppelt so hoch sind wie bei der traditionellen Drehstrom-Übertragung. Dafür sind die Übertragungsverluste bei Gleichstrom um 30 bis 50 Prozent geringer. Zudem sind bei der HGÜ dank hoher Spannungen – bis 1100 Kilovolt dürften in naher Zukunft möglich sein – die verlustarmen Transportkapazitäten deutlich höher und die Stromtrassen schmäler. So verwundert es nicht, dass die Länge der weltweit gebauten HGÜ-Strecken nicht zuletzt dank neuer technischer Entwicklungen in jüngster Zeit rasant gewachsen ist.

Ganz vorne mit dabei sind die Unternehmen Siemens und ABB. Ihre Erfahrungen sammelten sie indes vor allem im Ausland. So ging vor rund zwei Jahren ein von den beiden Unternehmen in China verlegtes Gleichstromkabel in Betrieb, das über gut 2000 Kilometer von Xiangjiba nach Shanghai führt. Bei einer Spannung von 800.000 Volt transportiert es 6400 Megawatt Strom. Zum Vergleich: Block II in Neckarwestheim produziert 1400 Megawatt. ABB baut derzeit in Indien ebenfalls ein 800.000-Volt-Gleichstromkabel mit einer Übertragungsleistung von 6000 Megawatt.

Vor allem China hat ehrgeizige Zukunftspläne für neue Gleichstromleitungen: „Wir erwarten dort bis zum Jahr 2020 eine zusätzliche Übertragungsleistung von 200.000 Megawatt“, berichtete Herbert Gambach von Siemens auf der Tagung „Smart Grid “ in Stuttgart, zu der der Verband der Elektrotechnik (VDE) eingeladen hatte. Und Gambach prophezeit, dass HGÜ in nicht allzu ferner Zukunft eine hohe Bedeutung erlangen wird.

Auf Gleichstrom umrüsten

Das sieht auch Thomas Benz von der deutschen ABB-Niederlassung in Mannheim so, wobei er sich in seinem Vortrag vor allem dem Bau von HGÜ-Leitungen in Deutschland widmete. Den Berechnungen von ABB zufolge könnte mit Gleichstromübertragungsleitungen der Ausfall der Atomkraftwerke ab 2022 kompensiert und genügend Windstrom von Nord nach Süd transportiert werden. In einer Zukunftsvision wollen die Ingenieure von ABB dabei nicht nur HGÜ-Leitungen bauen, die nur je zwei bestimmte Transformationsorte im Norden und Süden miteinander verbinden – also quasi eine Stromautobahn ohne Auf- und Abfahrt. Vielmehr stellen sie sich ein knapp 4000 Kilometer langes HGÜ-Netz vor, bei dem Abzweigungen möglich sind.

Mit einem solchen Netz würde das derzeitige Drehstrom-Hochspannungsnetz so spürbar entlastet, dass es keine Engpässe mehr geben würde. Ein weiterer Vorteil: die Netzverluste würden laut Benz um 40 Prozent sinken. Die technischen Voraussetzungen, da sind sich die beiden Unternehmen einig, sind mittlerweile geschaffen. ABB verweist dabei nicht ohne Stolz auf einen neu entwickelten Gleichstrom-Leistungsschalter, mit dem sich in weniger als zwei Millisekunden eine defekte Leitung vollständig vom Netz trennen lässt.

Bis ein HGÜ-Netz Realität wird, ist allerdings noch viel zu tun. So wurde auf dem Kongress berichtet, dass die einzelnen Hersteller die Herausforderungen derzeit noch recht unterschiedlich angehen. Immerhin sind sie sich des Problems bewusst: „Die Normungsaktivitäten sind schon weit fortgeschritten“, beschrieb Benz das Bemühen um einheitliche Vorschriften.

Druck machen auch die Firmen, die für die Stromübertragung verantwortlich sind. Sie wollen die HGÜ für eine vergleichsweise kostengünstige Lösung nutzen: Durch bereits bestehende Hochspannungsleitungen soll nicht mehr Drehstrom, sondern Gleichstrom fließen. Hierzu wären neue Isolatoren sowie Stromkonverter an den Endpunkten erforderlich. Mit der verfügbaren Technik ist das nach Überzeugung der Ingenieure machbar, allerdings hat diese Form der „Umrüstung“ bisher wohl noch niemand gewagt. Bis 2018, so die Planung, sollen die ersten solchermaßen umgebauten HGÜ-Leitungen in Betrieb gehen. Man darf gespannt sein, ob das funktioniert.