Wo ist Platz für Studenten? Die Frage, die auch Noch-OB Schuster beschäftigt, stellt sich mit höchster Brisanz. Der Blick auf das kommende Wintersemester und den Doppeljahrgang lässt einige zweifeln. Eine Suche nach Unterkünften für die Elite.

Stuttgart - Stimmengewirr auf einer Straße im Stuttgarter Westen. Der Straßenlärm tönt leise als Hintergrundmelodie. Das warme Abendlicht taucht die leicht rissige Fassade in einen angenehmen Gelbton. Eine Menschentraube bahnt sich den Weg ins Innere eines Mietshauses. Um die 30 hauptsächlich junge Interessenten sind gekommen. Die Besichtigung ist eröffnet. Im ersten Stock leicht vergilbte Wände, so als hätte ein Raucher hier jahrelang gewohnt. So riecht es auch. „Renoviert wird noch“, verspricht der Makler. Der Schnitt der Wohnung ist gut. Zwei Schlafzimmer, Bad mit rosafarbenen Sanitäranlagen und eine sporadische, gelb geflieste Küche. 600 Euro kalt – Das Maximum, das man sich als Student mit Mitbewohner leisten kann. Kurz darauf setzt in der Küche das Kratzen der Kugelschreiber ein. Eifrig werden Interessentenbögen mit Auskünften zu Einkommen, Beruf und Familienstand ausgefüllt.

 

Alle Semester wieder kehrt die Wohnungsnot in Stuttgart ein. Alle Semester? Zugegeben, die Wohnungssuche in der Landeshauptstadt ist unabhängig von Universitätszyklen für alle schwierig. Fest steht aber, dass je näher der Oktober rückt, immer mehr Menschen in die freien Zimmer und Wohnungen der Region drängen. Gesucht werden vor allem günstige Unterkünfte an den Universitätsstandorten. Der Doppeljahrgang, der dieses Jahr die Gymnasien verlies, führt zu zusätzlicher Hysterie auf dem Wohnungsmarkt. Dieser Umstand veranlasste sogar Oberbürgermeister Schuster Mitte August zu einem Appell an die Bürger. Er forderte dazu auf, Studenten Wohnmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Jedes Zimmer zählt. Doch die Hürden auf dem Weg zur eigenen Existenzgründung sind hoch.

Haustiere, WGs und andere Unannehmlichkeiten

Der freie Wohnungsmarkt ist umkämpft wie nie. Internetportale und Facebook-Gruppen quellen über vor Anfragen junger Menschen. „Eine Wohnung mit guter Lage bei schmalem Budget ist schwer zu finden. Und wenn man eine findet, hat man 30 bis 40 Mitbewerber“, sagt der Stuttgarter Student Dimitri Penner. Es sei schon frustrierend, eine Wohnung zu suchen. Neben karger Angebotslage und teilweise veralteten Objekten ist die Ablehnung der Vermieter ein Problem. Um diese zu spüren, muss man nicht lange suchen. Tierhaare werden mit Wohngemeinschaften in einem Atemzug genannt: „Haustiere sowie WGs sind nicht erwünscht.“ „Keine WGs – keine Haustiere.“ Das titeln zwei Wohnungsangebote aus Vaihingen in großen Lettern und mit vielen Ausrufezeichen, die der Aussage wohl Nachdruck verleihen sollen.

Vermieter machen keinen Hehl daraus, dass sie ihre Suche vor allem auf gut situierte Bewerber eingrenzen: „Die Wohnung wird nur an Singles oder Paare mittleren Alters vermietet“oder „Schreiben Sie bei Interessens-Anfragen gleich etwas zu ‚wer will einziehen’ wie z.B. Alter, Job etc.“ Das Anliegen scheint nicht völlig aus der Luft gegriffen, denn die Angst vor lärmenden WG-Partys, verdreckten Küchen und nichtbezahlten Mietraten ist groß. Vergessen wird dabei, dass sich mittlerweile durchaus auch viele Berufstätige zu WGs zusammenschließen, die wohl nicht in das übliche Klischee fallen dürften. Lediglich eine kleine Zahl Vermieter weisen in ihren Anzeigen auch auf WG Tauglichkeit hin.

Die Zimmernachfrage ist enorm

Vom Hoheitsgebiet der Makler doch lieber in die schützende Obhut der Uni? Dabei helfen zum Beispiel die Mitarbeiter des Studentenwerks. Vor Ort in den Universitätsstädten Stuttgart, Tübingen und Hohenheim herrscht Hochkonjunktur. Es werden Anfragen angenommen, Mietverträge aufgesetzt und vor allem: neue Unterkünfte gesucht. Wohnheime haben eben auch nur eine begrenzte Kapazität, das zeigt die Bilanz des Studentenwerks Stuttgart. 13 Hochschulen umfasst der Dienstleister, unter anderem die Universität Stuttgart, die Duale Hochschule Stuttgart und die Hochschule Esslingen. Im letzen Wintersemester kamen auf 51.875 Studenten 6416 Wohnheimplätze. Für jeden achten standen also theoretisch Zimmer zur Verfügung. Für Studienanfänger, die neu in der Stadt sind, ist die Situation allerdings schwierig. Egal woher man kommt, ob aus Hamburg, Köln, Dresden oder Stuttgart, das Entscheidende bei der Vergabe von Wohnheimplätzen ist das Eingangsdatum der Bewerbung. So sind Studienneulinge von außerhalb im besonderen Maße auf eine frühe Bewerbung angewiesen. Dass sie nicht aus der Region stammen, verschafft ihnen kein Plus beim Studentenwerk.

Das Studentenwerk Tübingen-Hohenheim schickt am Standort Tübingen gut 1460 freie Zimmer in die neue Runde für das Wintersemester 2012/2013. 80 Prozent dieser Zimmer sind bereits vergeben. Für die restlichen circa 290 Schlafplätze gehen bis jetzt rund 1330 Bewerber ins Rennen. Diese Zahlen schwanken, da ständig neue Bewerbungen und Absagen eintreffen, an der Tendenz aber wird sich so schnell nichts ändern. Fehlende Genehmigungen und Mangel an Bauland machten den Neubau von Wohnheimen in den vergangenen Jahren nicht einfach. „Der Bau von neuen Studentenwohnheimen ist in Wohngebieten in der Regel unwirtschaftlich (..). Auf freien Bauplätzen in Gewerbegebieten und Mischgebieten, die sich für den Bau von Studentenwohnungen eignen würden, wird nur selten von der Landeshauptstadt eine Befreiung erteilt und damit der Bau von neuen Studentenwohnheimen verhindert”, erklärte Makler Alfred Hildebrandt im Juni der Stuttgarter Zeitung die Situation. Dennoch eröffnete das Stuttgarter Studentenwohnheim erst im Jahr 2011 ein neues Wohnheim. Der Schlafplatz für 115 weitere Studenten war geschaffen. Der jetzige Bedarf aber ist kaum zu decken. Als Ausweichmöglichkeit schaltete das Studentenwerk dieses Semester Annoncen: Wohnungen für Studenten gesucht.

Doch zurück ins Hotel Mama?

Die Zwischenwelt von freiem Wohnungsmarkt und vermeidlichem Schutzraum des Studentenwerks sind WG-Börsen. Meist suchen hier Studenten andere Studenten oder junge Menschen als Nachmieter. Ein Terrain auf dem man sich wenigstens auf Augenhöhe begegnet. Doch das scheint gar nicht das Problem zu sein. Weit ab von Provisionen und Maklern, ist das größte Hindernis die Anzahl der Mitbewerber. Einladungen zu WG-Angeboten, die älter sind als einen halben Tag, gibt es in der Hochsaison sowieso kaum. „Auf ein WG-Zimmer melden sich ca. 100 junge Leute, aber nur zehn bis 20 werden eingeladen“, sagt die Stuttgarter Studentin Stefanie Heinig.

Der Aufruf von Noch-OB Schuster hat gezeigt, dass die Wohnungsnot von Studenten nun auch in der Politik angekommen ist. Bemerkenswert ist nur, dass dieses Problem seit Jahren bereits prognostiziert wurde. Politisch und städtebaulich ist die Frage des fehlenden Wohnraums in Stuttgart höchst brisant und auch Thema im OB-Wahlkampf. Leidtragende sind nicht nur Studenten. Vor allem für Menschen mit kleinem Geldbeutel ist es nicht so einfach ein Dach über dem Kopf zu finden. Letzte und übrigens immer beliebter Lösung für die jungen Wohnungssuchenden: Wenn möglich, muss dann eben doch Hotel Mama hinhalten.