Willkommen bei Young Animation, dem Wettbewerb für Studentenfilme beim Internationalen Trickfilmfestival. Obwohl vielleicht die zweitwichtigste Kategorie des Festivals, hat die Reihe doch noch etwas von einem Geheimtipp.

Stuttgart - Da liegt er nun, der Wolf, ein lebloses schwarzes Bündel inmitten einer Menschenmenge, als Jagdtrophäe begafft. Doch er ist nicht tot, nur verletzt, und die Kugel in seinem Kopf fängt an, zu ihm zu sprechen, sein Bewusstsein zu verändern – oder überhaupt erst eines zu schaffen? Leicht surreal mutet die Geschichte an, die die Französin Aurore Peuffier für ihren Film „Du plomb dans la tête“ gewählt hat, umgesetzt mit einer mittlerweile seltenen Animationstechnik: animierte Malerei. Grobe, expressive Pinselstriche prägen ihre im Stopptrickverfahren aneinandergefügten Bilder, geben ihrem Film eine ungeheuer dynamische Note, eine raue Schönheit. Man schaut gefesselt, berührt – ein kleines Kunstwerk ist Peuffier mit ihrem knapp acht-minütigen Abschlussfilm an der Pariser Kunsthochschule Ensad da gelungen, eine Arbeit voll erzählerischer und visueller Poesie.

 

Wenig Poesie ist dagegen in einem anderen französischen Beitrag zu finden, dafür umso mehr bitterer Humor: In ihrem 3-D-Animationsfilm „Bûche royale“ erzählen Sarah Amrani, Aline Lesage und Lucy Vallin von zwei Soldaten, die auf einem fremden Planeten saurierartige Aliens töten, um an deren Eier zu gelangen. Zwei eher dumpfe Gesellen, die sich zwischen dem Töten banale Alltagsgeschichten erzählen, dumme Witze reißen, auf den Leibern ihrer Opfer sitzend Karten spielen. Bis einem von ihnen irgendwann kurz Zweifel kommen, ob ihr Tun richtig ist, schließlich sei dies ja der Planet dieser Aliens. „Red’ keinen Unsinn“, sagt der andere, und alles geht weiter wie gehabt. Eine kleine, böse Satire auf die europäische Kolonialvergangenheit. Oder auch auf jüngere westliche Politik?

Zwischen den Machern findet sich immer ein Plätzchen

Willkommen bei Young Animation, dem Wettbewerb für Studentenfilme beim Internationalen Trickfilmfestival. Obwohl vielleicht die zweitwichtigste Kategorie des Festivals, hat die Reihe doch noch etwas von einem Geheimtipp. Denn im Gegensatz zu den stets überfüllten Vorstellungen des Internationalen Wettbewerbs (IW) findet man hier immer einen Platz, zwischen den Machern der gezeigten Filme, der Jury und neue Talente suchenden Produzenten verirren sich eher wenig „normale“ Gäste – was auch mit der späten Anfangszeit um 23 Uhr liegen mag.

Die Bandbreite an Stilen, Animationstechniken und Geschichten ist hier nicht kleiner als im großen Wettbewerb, die Ausführungen meist schon erstaunlich perfekt, und doch wirken die Filme oft noch wilder, frecher, kantiger – und manchmal auch unfertiger, unausgegorener.

Noch arg nahe an der Pubertät etwa wirkt „Corpses of Drawer“ von Byeol Kwon aus Südkorea, ein an Tarantinos Metzeleien erinnernder Rachefeldzug im Gangster-Milieu, der trotz der teils an Kinderzeichnungen erinnernden Figuren ziemlich an die Eingeweide geht – in mehrfacher Hinsicht.

Dann gibt es wieder Werke von ungeheurer Zartheit wie „My Seashell Memory“, Abschlussfilm der Londoner Kunststudentin Yanlei Chen. In zauberhaft animierten Aquarellbildern erzählt sie von der Beziehung eines Mädchens zu ihrem geliebten, zu früh verstorbenen Vater. Ein autobiografisch inspirierter Film, „ich wollte ihn für meinen Vater machen“, erzählt Chen, und ein extrem aufwendiger: „Sechs Monate lang bin ich morgens aufgestanden, habe gemalt, bis ich mich wieder schlafen gelegt habe.“

Hungriges Monster im Bauch

Nur fünf Tage dagegen verwendete die Kasseler Studentin Anna Levinson für ihren Film „Ham Ham“, in dem ein hungriges Monster im Bauch eines kleinen Mädchens zu nächtlichen Kühlschrankplünderungen führt. In skizzenhaften Bildern ausgeführt, ist auch dies ein autobiografisches Werk, laut Levinson inspiriert von „nächtlichen Hungerattacken als Kind“, vor allem aber ein in seinen Minimalismus sehr charmantes.

Überhaupt sind es gerade die vielen sehr minimalistisch ausgeführten Filme, die zu den beeindruckendsten zählen. Darunter auch „Timid Suction“ der britischen Animatorin Kadesha Drija. Mit handgezeichneten Strichmännchen erzählt sie die Geschichte eines älteren Paares, das sich auseinandergelebt hat. Beide haben sich nichts mehr zu sagen, und über ihrer stummen Entfremdung lärmt andauernd der Staubsauger. Ein bedrückender und zugleich ungeheuer witziger Film, weil Drijas ironischer Blick so klar und scharf wie ihre Zeichnungen ist – sie selbst nennt ihren Stil „düster komisch“.

Das könnte auch zu „After the End“ vom ebenfalls von der Insel kommenden Sam Southward passen, was wieder zeigt, dass die Briten trotz Klischeealarm wohl doch einen besonderen Sinn für gepflegt schwarzen Humor haben. Wobei Southwards Animationen mit denen Drijas rein gar nichts gemein haben, vom Look erinnern sie an die überbordend detaillierten Knetfiguren-Epen der Aardman Studios („Wallace & Gromit“). Die Geschichte spielt nach dem Ende der Welt: Einziger Überlebender eines Atomkriegs scheint der blasiert-intellektuelle René zu sein, der gerade noch rechtzeitig vorm Suizid merkt, dass doch noch ein Mensch überlebt hat: Gordon. Dummerweise ein sauffreudiger Prolet, der an der Apokalypse nicht zu leiden scheint – denn er hat ja seine Sexpuppe Dolly dabei. Die bringt René bald gehörig durcheinander.

Hier könnte man nun die Frage anschließen, ob die Menschheit angesichts ihrer Gier und Intoleranz überhaupt verdient, zu überleben, und nicht zu Unrecht ist „After the End“ auch für den „Lotte-Reiniger-Förderpreis“ des Festivals nominiert. Ob Southward bei seinem herrlichen Elfminüter auch solche philosophischen Erwägungen im Sinn hatte, ist unklar. Fest steht: Die Welt endet bei ihm mit einem Lacher.