Die Zeit der schönen Bilder vom gastfreundlichen Deutschland ist vorbei. Die Hilfsbereitschaft bleibt groß. Viele haben jedoch einen ernüchterten Blick auf den Flüchtlingszustrom.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Neben der Autobahn, dem Rucksack und dem Kindergarten könnte auch die Willkommenskultur eines Tages als deutsches Fremdwort in englischen Lexika stehen. Das hat zumindest die britische Zeitung „Guardian“ vorgeschlagen. Doch die Blütezeit der Willkommenskultur ist knapp zwei Jahre nach dem großen Flüchtlingsansturm 2015 schon wieder vorbei. Zu diesem Schluss kommt die Bertelsmann-Stiftung. Das Meinungsforschungsinstitut Kantar Emnid hat in ihrem Auftrag insgesamt 2014 Menschen ab 14 Jahren befragt, die in Deutschland wohnen, und die Ergebnisse mit früheren Umfragen verglichen. Die Zahlen geben allerdings nicht eigene Haltungen wieder, sondern Werturteile über die vermutete Haltung von Mitmenschen oder Behörden.

 

„Bereitschaft zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge sinkt“

Die Willkommenseuphorie, die im Spätsommer 2015 mancherorts herrschte, ist demnach inzwischen einer gewissen Ernüchterung gewichen. Zwar glaubt noch immer eine große Mehrheit, dass sowohl staatliche Stellen (77 Prozent) als auch die Bürger (70 Prozent) Einwanderer willkommen heißen. Die Willkommenskultur erweise sich mithin als „sehr robust“, so Ulrich Kober, Direktor für die Themen Integration und Bildung bei der Stiftung. Der Zustrom von Flüchtlingen werde jedoch „heute deutlich kritischer gesehen“. Es gebe erkennbare „Erschöpfungssignale“.

„Die Bereitschaft zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge sinkt im ganzen Land“, lautet ein Fazit der Studie. 54 Prozent der Befragten sieht Deutschland an einer Belastungsgrenze angekommen. Vor zwei Jahren waren es 40 Prozent. 79 Prozent befürchten wegen der Flüchtlinge „zusätzliche Belastungen für den Sozialstaat“. 72 Prozent glauben, es könnten Konflikte zwischen Einheimischen und Einwanderern aufkommen. Zwei Drittel verweisen auf Engpässe in den Schulen und auf dem Wohnungsmarkt. Die Vorteile der Zuwanderung fallen für die meisten nicht mehr so stark ins Gewicht. Vor zwei Jahren glaubten noch 52 Prozent, Zuzug aus dem Ausland könne den Fachkräftemangel ausgleichen. Inzwischen sind es noch 41 Prozent. Die Hoffnung auf Mehreinnahmen bei der Rentenversicherung wegen der Flüchtlinge und deren Nachkommen teilen nur noch 34 Prozent (2015 waren es 47 Prozent).

Willkommenskultur ist auch eine Frage von Alter und Wohnort

In den neuen Bundesländern ist die Skepsis weitaus stärker ausgeprägt. Während im Westen 65 Prozent glauben, ihren Mitbürgern seien Flüchtlinge weiterhin willkommen, sind im Osten nur halb so viele Menschen (33 Prozent) dieser Meinung. Die Ansicht, Deutschland solle Flüchtlinge aufnehmen, weil es humanitär geboten sei, hatten dort 2015 noch 44 Prozent vertreten. Inzwischen sind es 32 Prozent.

Willkommenskultur ist auch eine Frage des Lebensalters. 2015 war sie gerade bei den Menschen über 60 besonders ausgeprägt. 53 Prozent von ihnen waren der Meinung, aus humanitären Gründen müsse Deutschland noch mehr Flüchtlinge aufnehmen. Unter den Bundesbürgern zwischen 30 und 59 Jahren vertraten nur 49 Prozent diese Haltung. In der Generation Ü60 ist die Aufnahmebereitschaft aber deutlich erlahmt. 65 Prozent dieser Altersgruppe sehen die Belastungsgrenze erreicht. Nur noch 29 Prozent halten es für eine humanitäre Pflicht, weitere Flüchtlinge ins Land zu lassen. Die Bereitschaft dazu ist umso größer, je jünger die Befragten sind. Bei den Bürger im Alter zwischen 30 und 59 Jahren sind es 35 Prozent, bei den Jüngeren unter 30 sogar 51 Prozent.

Im Grundsatz ist gleichwohl eine große Mehrheit offen für kulturelle Vielfalt im Land. 72 Prozent halten das für eine Bereicherung, 25 Prozent für ein Problem. Diese Ansicht ist sehr stabil. Aus den Umfragedaten lässt sich herauslesen, dass die meisten eher moderne Ansichten zur Staatsbürgerschaft vertreten. 69 Prozent sagen, für sie sei jeder ein Deutscher, der einen deutschen Pass besitze. 68 Prozent sagen, deutsch sei jeder, der in Deutschland geboren ist. Für 59 Prozent reicht es schon aus, in Deutschland seinen Lebensmittelpunkt zu haben, um als deutsch zu gelten.