Prüfungsangst und der eigene Erwartungsdruck belasten viele Studenten. Hinzu kommen mangelnde Fähigkeiten, mit Stress umzugehen. Die Autoren der Studie sehen die Bologna-Reform als Ursache.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Wer glaubt, dass Studenten sich auch heutzutage noch bis zum Abschluss ihres Studiums vor allem einen lauen Lenz machen können, den belehrt eine aktuelle Untersuchung der Universitäten Hohenheim und Potsdam eines besseren. 18 000 Studierensde aus dem ganzen Bundesgebiet wurden in diesem Sommer online zu ihren Erfahrungen und Stressbeslastungen im Studium befragt. Das Ergebnis räumt mit einigen Vorurteilen auf: 53 Prozent der Teilnehmer hatten nach ihrem eigenen Empfinden ein hohes Stressniveau. Damit sind sie nach Einschätzung von Markus Voeth (Hohenheim) und Uta Herbst (Potsdam), den beiden Professoren der Studie im Auftrag der AOK, stressgefährdeter als andere Bevölkerungsgruppen. Bei einer vergleichbaren Untersuchung aus dem vergangenen Jahr schnitten die Beschäftigten in Deutschland laut Uta Herbst deutlich besser ab: Von ihnen klagen knapp fünfzig Prozent über viel Stress.

 

Prüfungsdruck und die eigenen Ansprüche machen den Studierenden zu schaffen

Als wesentliche Stressfaktoren benennt die Studie den Prüfungsdruck und die Vorbereitung des Abschlusses, die Arbeitsbelastung durch das Studium sowie den den Anspruch der Studierenden, ihren eigenen Erwartungen gerecht zu werden. Brisant wird die Mischung der Belastungsfaktoren laut den beiden Professoren aber erst dadurch, dass nur ein Drittel der Studierenden gut ausgeprägte Fähigkeiten hat, mit Stress umzugehen. Fast 44 Prozent haben nur gering ausgeprägte Widerstandskräfte im Umgang mit Stress und Überforderung; 23 Prozent wird eine moderate Resilienz (Fähigkeit mit Stress umzugehen) zugeschrieben. Typische Reaktionen auf den Stress im Studium sind laut Uta Herbst Unzufriedenheit, Suche nach Ablenkung, Schlaf– und Konzentrationsstörungen.

Hinter der hohen Durchschnittsbelastung der Studierenden verbergen sich allerdings große Unterschiede: So sind Studentinnen generell gestresster als ihre männlichen Kommilitonen; Fachhochschüler sind schlechter dran als Studierende an Universitäten und Dualen Hochschulen, Bachelor-Studenten fühlen sich belasteter als Master-, Diplom- und Staatsexamensabsolventen oder sogar Doktoranden. Auch von Fach zu Fach sind die Unterschiede erheblich. Besonders belastend empfunden wird demnach das Studium der Tiermedizin (Stresslevel 105,6 Prozent), Agrar und Ernährungswissenschaften (105,1 Prozent) und Informatik (103,6 Prozent), während Sport mit einem Stresslevel von 87,2 Prozent auf dem letzten Platz der universitären Stressskala liegt. Auffällig ist auch, dass die Belastungen nicht parallel mit den akademischen Anforderungen wachsen nach dem Motto: Je höher der Abschluss und die universitären Anforderungen, desto größer sind die Belastungsfaktoren.

Komilitonen mit Nebenjob kommen sogar mit weniger Stress durchs Studium

Ein weiterer Befund der Studie bürstet die Erwartungen gegen den Strich: Wer neben dem Studium Geld verdienen muss und einen Nebenjob hat, hat laut Uta Herbst und Markus Voeth nicht etwa mehr Stress, sondern empfindet die Belastung als geringer. Auch Studenten, die Kinder haben, haben laut der Forscherin eher weniger Stress als die Kommilitonen ohne Familie. Martin Litsch, Vorstandschef des AOK-Bundesverbands, der die Studie in Auftrag gegeben hat und dem Stress als Gesundheitsrisiko für die Studierenden mit einer Ausweitung des Beratungsangebots begegnen will, leitet aus diesen Erkenntnissen sogar den Vorschlag ab, dass die Aufnahme einer Nebentätigkeit ein Weg sein könnte, sich vom Hochschulstress zu befreien.

Forscher sehen Ursache der Belastungen im Bachelor-System

Die Ursache für den höheren Stresspegel in Hörsälen und Seminarräumen sehen die Autoren der Studie vor allem in der Bologna-Reform und die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge. Ob die Studierenden heute verwöhnter und weniger erwachsen aus dem Elternhaus an die Hochschulen kommen, darüber wollten die beiden Professoren für Marketing nicht spekulieren. „Fakt ist, dass die Studierenden heute ein bis zwei Jahre früher mit dem Studium beginnen. Das liegt an der verkürzten Schulzeit bis zum Abitur genauso wie am Wegfall des Wehr- und Zivildienstes. 17- oder 18-jährige Studienanfänger sind natürlich weniger reif als zwanzigjährige“, fügt Voeth hinzu. „Außerdem hat durch die Bologna-Reform die Geschwindigkeit im Studium zugenommen. Darauf sind schon die Studienanfänger gepolt, sie wissen, dass ihre Leistungen von Anfang an zählen. Ruhepausen gibt es im Studium kaum mehr.“