An den Wahlurnen würden viele Deutsch-Türken ihr Kreuz hinter die SPD und die Grünen setzen.

Stuttgart - Das Ergebnis ist eindeutig. Wäre am Sonntag Bundestagswahl, würden 64,5 Prozent der Wahlberechtigten mit türkischen Wurzeln die SPD wählen. Das geht aus einer Umfrage des Berliner Marktforschungsinstituts Data 4 U hervor. Anfang Mai hatte das Institut 1000 türkischstämmige Deutsche zu ihrem Wahlverhalten befragt. Die Grünen kommen mit 23,2 Prozent ebenfalls gut weg. Anders die Union, die nur von 7,4 Prozent der Deutsch-Türken gewählt würde. Auf die Linke entfallen 3,9 Prozent der Stimmen, alle anderen Parteien, darunter auch die FDP, kommen auf ein Prozent.

 

Necati Dutar ist der Geschäftsführer der Frankfurter Unternehmensberatung nhd Consulting, die sich auf ethnische Zielgruppen spezialisiert hat. Seine Firma hat die Umfrage in Auftrag gegeben. „Das Ergebnis ist keine Überraschung“, sagt er. Auch bei früheren Umfragen habe die Union schlecht abgeschnitten. Dabei gelten viele Türken als wertkonservativ. „In der Türkei wählen viele die konservative AKP“, sagt Dutar. Hier seien den Türken aber soziale Themen und Integration wichtiger.

Hier kann die Union nur schwer punkten. Denn den Eintritt der Türkei in die EU lehnen die Christdemokraten ebenso ab wie die doppelte Staatsbürgerschaft. Ende der 1990er Jahre organisierte die Union eine Unterschriftenkampagne gegen die von der damals rot-grünen Bundesregierung geplanten Reform der doppelten Staatsbürgerschaft. Im hessischen Landtagswahlkampf 1999 ging die Partei mit der umstrittenen Kampagne auf Stimmenfang. Auch die harte Linie des früheren hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch beim Einbürgerungstest spielt Necati Dutar zufolge in das aktuelle Umfrageergebnis mit rein („das haben die Türken in Deutschland nicht vergessen“).

Die CDU will die Umfrage nicht kommentieren

In der Berliner Parteizentrale will man die Umfrage nicht kommentieren und erklärt stattdessen, dass für die CDU als Volkspartei der Mitte Mitglieder mit ausländischen Wurzeln zum Alltag gehörten. In der Parteispitze säßen vier Menschen mit Migrationshintergrund. „Die CDU begrüßt und fördert ausdrücklich, dass Bürger mit einem solchen Hintergrund für unsere Partei und für unser Land politisch Verantwortung übernehmen“, heißt es.

Die Spätaussiedler in Deutschland wiesen lange Zeit eine eindeutige Präferenz für die CDU/CSU auf, erklärt der Politikwissenschaftler Andreas Wüst. Zurückzuführen ist das auf die Aussiedlerpolitik der Kohl-Regierung. Doch auch hier scheint sich etwas zu verändern. „Zumindest bei der Bundestagswahl 2009 ließ sich die zuvor klare Präferenz der Spätaussiedler für die Unionsparteien jedoch nicht mehr feststellen“ sagt Wüst.

Die SPD lockt mit doppelter Staatsbürgerschaft

Bei vielen türkischen Migranten galt die SPD lange als die Partei, die sich ernsthaft für die Integration der Türken in die deutsche Gesellschaft stark machte. Viele Gastarbeiter fanden Unterstützer in den Sozialdemokraten, Betriebsräten und Gewerkschaftern für bessere Arbeitsbedingungen. Das und die Integrationspolitik des früheren Kanzlers Helmut Schmidt in den 1970er Jahren haben bis heute Eindruck hinterlassen. Die SPD sieht denn auch ihren politischen Kurs durch die Umfrage bestätigt. „Die SPD pflegt schon seit langem enge Beziehungen zu Migranten und ihren Organisationen“, erklärt die Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Aydan Özoguz. Auch in Zukunft wolle die SPD mit ihrer Politik überzeugen. „Wir werden die doppelte Staatsbürgerschaft einführen und die unsinnige Optionspflicht abschaffen“, sagt Özoguz.

Die Partei will ihre Wahlbotschaften im bevorstehenden Wahlkampf in sechs Sprachen übersetzen. Zudem werde es eine Kurzfassung des Regierungsprogramms in „leichter Sprache“ geben, sagt Özoguz. Der Unternehmensberater Dutar rät allen Parteien, Menschen mit Migrationshintergrund direkt anzusprechen. Das komme bisher zu kurz. „Dabei sind diese Wähler sehr leicht erreichbar“ erklärt er – „in ihren Medien und in ihrer Muttersprache.“