Die meisten Demenzerkrankten wollen möglichst lange zu Hause wohnen. Kann Technik ihnen dabei helfen, den Alltag zu bewältigen?

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Elise Becker (Name geändert) kann sich Termine nicht mehr merken. Sie vergisst Arztermine oder wann sie ihre Medikamente einnehmen muss. Bei der Rentnerin wurde eine beginnende Demenz diagnostiziert, außerdem ist sie fast blind. Noch kann sie ihren Alltag selbstständig bewältigen.

 

Die ältere Frau ist eine von elf an Demenz erkrankten Menschen aus Stuttgart und dem näheren Umland, die an einer Studie der Demenz Support Stuttgart gGmbH teilgenommen haben. Mit dieser sollte herausgefunden werden, inwiefern technische Geräte helfen können, dass die Betroffenen lange zu Hause leben können. Denn eines weiß man: alte Menschen wollen im vertrauten Umfeld bleiben.

„Es war nicht einfach, willige Haushalte für die Studie zu finden“, berichtet Beate Radzey, die die vom Sozialministerium geförderte Studie gemeinsam mit Cordula Pflederer und Sibylle Heeg verfasst hat. Über die gerontopsychiatrischen Dienste sind sie an die Teilnehmer herangetreten. Teilweise haben diese wie Frau Becker allein gelebt, teilweise mit dem Ehepartner zusammen.

Sturzdetektoren informieren den Pflegedienst

Weil jeder Teilnehmer individuelle Probleme und Lebensumstände mitbrachte, sind unterschiedliche Produkte zum Einsatz gekommen: vom Bewegungsmelder, weil der an Demenz erkrankte Mann nicht mehr den Lichtschalter bedient, bis zum Tabletcomputer, der für Unterhaltung sorgen soll, weil ein Patient antriebslos geworden ist.

Theoretisch seien alle Probleme technisch lösbar, sagt Beate Radzey, die betont, dass es nicht darum gehe, den Pflegedienst zu ersetzen, sondern die Kompetenz und Selbstständigkeit der Betroffenen möglichst lange zu erhalten. Die Haushaltsökonomin hat einige Geräte vor sich liegen: darunter sind eine schlichte Fernbedienung mit wenigen, großen Knöpfen, ein Schlüsselfinder und der „Magic Plug“, ein Stöpsel, der Überflutungen in Bad und Küche verhindert. Wird vergessen, das Wasser auszustellen, löst sich der Stöpsel ab einem bestimmten Wasserdruck – „günstig, aber effektiv“, sagt Radzey. Rund um das Thema Sicherheit gebe es viele Produkte, darunter Herdsicherungen oder auch Sturzdetektoren, die den Pflegedienst alarmieren.

Bevor sie die Studie begonnen haben, hat Beate Radzey nachgeforscht, welche Produkte auf dem deutschen und welche auf dem internationalen Markt erhältlich sind. Dabei habe beispielsweise die Suche bei Amazon Deutschland und Amazon Großbritannien völlig andere Ergebnisse hervorgebracht. „In Deutschland kamen fünf Treffer mit Büchern über technische Hilfen“, erzählt sie. Auf der britischen Amazon-Seite hingegen seien jede Menge Hilfsmittel vorgestellt worden. Sie glaubt, dass das damit zusammenhängt, dass in Deutschland Altersprodukte ein Stigma anhaftet. Im angelsächsischen Kulturkreis gehe man selbstverständlicher mit dem Thema um. „Dort heißt das ambient assisted living – umgebungsgestütztes Leben“, erklärt sie. Auch bei uns werde sich das ändern – so wie die Einparkhilfe im Mittelklassenwagen selbstverständlich geworden ist. Eigentlich ist es ein klassisches Altersprodukt. Nur wird es nicht so klassifiziert.

Die Stuttgarter Studie ist nicht repräsentativ. Doch sie macht in Bezug auf Technik eher skeptisch. Zumindest haben sich die Erwartungen überwiegend nicht erfüllt. „Eigentlich muss man solche Produkte frühzeitig nach der Diagnose einsetzen, doch das passiert nicht“, schildert Beate Radzey das Dilemma. Demenz werde oft in einem späteren Stadium diagnostiziert, wenn die Produkte nicht mehr für die Betroffenen erlernbar sind, sagt sie.

Die nächste Generation ist technikaffiner

Bei der Lektüre der Studie wird deutlich, dass ohnehin fast alle Probanden von Haus aus unsicher im Umgang mit Technik gewesen sind. Für das Team ist es zudem schwierig gewesen, Feedback zu bekommen. Das zeigt auch der Fall von Frau Becker. Bei ihr hat Demenz Support Stuttgart ein Erinnerungsgerät ausprobiert. Muss zum Beispiel ein Anruf getätigt werden, meldet es sich zum (von ihrem Sohn programmierten) Zeitpunkt mit der Anweisung. Das Problem: Elise Becker konnte sich nicht mal erinnern, ob sie das Erinnerungsgerät benutzt hat. Aber: Bei einer anderen Patientin hat das gleiche Hilfsmittel durchaus funktioniert – sie hat es genutzt, um ihre Medikamente pünktlich einzunehmen. Ein elektronischer Medikamentenspender hatte diese Patientin wiederum überfordert.

Günther Schwarz von der Fachberatung Demenz der Evangelischen Gesellschaft ist nicht überrascht davon gewesen, dass sich die „Heilsvorstellungen“ an die Technik in der Studie vielfach nicht erfüllt haben. „Das liegt am Krankheitsbild, Demenzkranke können nicht mehr lernen, schon im frühen Stadium haben sie Probleme, die gewohnte Kaffeemaschine zu bedienen“, sagt Schwarz. Ihnen eine neue Fernbedienung zu geben, bringe da gar nichts. Der Praktiker hält nur zwei Gerätearten für sinnvoll: Sicherheitstechnik, die die Selbstständigkeit erhält, indem sie zum Beispiel weiterhin das Kochen ermöglicht – und Geräte, die Angehörigen das Leben erleichtern.

Dazu passt ein anderer Fall aus der Studie. Eine Probandin hatte (bis sich ihr Zustand verschlechterte) einen sogenannten Countdown-Zähler im Einsatz. Dieser signalisierte ihr zum Beispiel, wie lange es noch dauert, bis das Essen fertig sein würde – sonst hätte sie ihren Partner immer wieder gefragt, weil sie nicht mehr mit einer Uhr zurechtkam. Das Gerät hat also vor allem dem Lebensgefährten genutzt.

Beate Radzey ist sicher, dass sich der Markt weg von Spezialprodukten wie dem Countdown-Zähler entwickeln wird. „Es wird hin zum Tablet und Smartphone gehen“, sagt sie. Eine Erinnerungs-App gebe es bereits. Die nächste Altengeneration, die technisch affiner ist, werde weniger Berührungsängste haben als die jetzige, ist die Expertin zudem überzeugt.