Eine Studie zur Mobilität zeigt, welche verlässliche Rahmenbedingungen die Automobilwirtschaft benötigt, um die verbindlichen Klimaziele zu erreichen. Die Forscher sehen es als umgänglich an, die Privilegierung des Autos zu beenden. Der Einsatz von Elektrofahrzeugen reicht nicht aus.

Stuttgart - Die Landeshauptstadt Stuttgart ist vor allem durch Automobilfirmen und deren Zulieferer die Nummer eins unter Deutschlands wirtschaftstarken Metropolen. Aber die mit Mobilität verbundenen Infrastrukturangebote sind auch umweltbelastend. In Baden-Württemberg ist der Verkehrssektor der größte CO2-Emittent. Das Autoland ist von dem durch die Klimaschutzziele bedingten Wandel besonders betroffen.

 

Die Forderung nach größeren Anstrengungen bei der Transformation vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb hält die Konzernzentralen in Atem. Die Furcht vor einem Strukturbruch sitzt bei der Politik tief. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) warnt regelmäßig davor, die Branche schlecht zu reden.

Wie man mit den anstehenden Veränderungen erfolgreich umgehen könnte, und welche verlässliche Rahmenbedingungen die Automobilwirtschaft benötigt, um die verbindlichen Klimaziele zu erreichen, hat die Landesregierung nun auf 334 Seiten schriftlich. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Baden-Württemberg als beauftragter Träger des Projekts ließ die detailreiche Studie „Mobiles Baden-Württemberg – Wege der Transformation zu einer nachhaltigen Mobilität“ von vier Forschungseinrichtungen erstellen. Als Auftraggeber zeichnet die Landesstiftung verantwortlich, die Beteiligung eines wissenschaftlichen Beirats steigert die Überzeugungskraft. Intensive Debatten fanden in Workshops statt, an denen Vertreter von Daimler, Porsche, Bosch, ADAC, Bahn, aber auch der IG Metall, der Landesbank LBBW und der Studentenvertretung der Uni Stuttgart teilnahmen.

Es braucht Überzeugungskraft und Druck

Das heutige Verkehrssystem ist nach Ansicht der Wissenschaftler nicht nachhaltig, schon gar nicht in Baden-Württemberg. Beispiele sind die übermäßige Nutzung nicht regenerativer Ressourcen, hohe Lärm-, Luftschadstoff- und Treibhausgasemissionen sowie ein steigender Flächenverbrauch. Der Verkehrssektor im Land liege mit 28 Prozent an den Gesamt-Treibhausgasemissionen deutlich über dem Bundesschnitt. Der Endenergiebedarf des Verkehrs sei höher als 1990. Der Fahrzeugbestand befinde sich mit mehr als sechs Millionen Personenwagen (580 Pkw je 1000 Einwohner) deutlich über der mittleren Motorisierungsrate in Deutschland (532 Pkw je 1000 Einwohner) und weise einen weiter ansteigenden Trend auf.

Um die Privilegierung des Autos zu beenden, und das erscheint den Forschern notwendig, um dem Öffentlichen Verkehr und Car-Sharing zu einer stärkeren Bedeutung zu verhelfen, braucht es laut Studie Überzeugungskraft und Druck. Eine Barriere für die Abkehr vom eigenen Auto sei die Wahrnehmung, dies sei ein Verzicht. Stattdessen müsse der Verzicht „als Gewinn erlebbar gemacht werden“. Das Land habe die Möglichkeit, sich für restriktive Maßnahmen einzusetzen wie eine „intelligente, von der Fahrleistung und ökologischen Kriterien abhängige Maut“. Nötig sei zudem eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung, höhere Kosten für Parken und höhere Bußgelder sowie flächendeckendes Tempo 30, die kontinuierliche Umwidmung von Parkraum in öffentlich nutzbare Räume im Umfang von ein bis zwei Prozent pro Jahr sowie eine Reform der Dienstwagenbesteuerung.

Wie aber erreicht man die CO2-Neutralität? Die Wissenschaftler haben mit den Interessenvertretern mehrere „visionär ausgerichtete“ Szenarien entwickelt. Diese „möglichen Entwicklungspfade auf Basis von Zukunftsbildern“ zeigen unterschiedliche mögliche Entwicklungen bei der Verkehrsnachfrage und ihren Konsequenzen. Gemeinsame Fixpunkte sind die Abbremsung des Klimawandels und die Annahme, das sich vollautonomes Fahren durchsetzt. Der am weitestgehende Vorschlag geht von deutlichen Veränderungen im Mobilitätsverhalten aus.

Der Einsatz von Elektrofahrzeugen reicht nicht aus

In diesem Szenario wird eine Reduktion der direkten CO2-Emissionen von 45 Prozent in 2030 und 100 Prozent in 2050 erreicht, der Endenergiebedarf sinkt um 42 Prozent in 2030 und 80 Prozent im Jahr 2050. Der Netto-Flächenverbrauch tendiert gegen null. Mehr Bedeutung erhalten Nahversorgung und Nahmobilität – schon 2030 könnte der Rad- und Fußverkehr 50 Prozent ausmachen. Es zeigt sich aber, dass der Einsatz von Elektrofahrzeugen nicht ausreicht, um ökologisch nachhaltig mobil zu sein. Der Öffentliche Verkehr – günstig, komplett elektrifiziert und komplett vernetzt – wird das Maß der Dinge. Bedauerlich für jene, die an ihrem Auto hängen: Nur mit diesem Szenario gelingt es, die Klimaziele zu erreichen. Deshalb gehen die Pkw-Fahrleistung und der Pkw-Bestand drastisch zurück. Im Szenario reduziert sich die Anzahl der Pkw im Bestand bis 2030 um 30 Prozent und 2050 um 85 Prozent; und die Fahrleistung der Pkw auf 55 Prozent in 2030 und 30 Prozent in 2050. Diese Version erhält von den Forschern durchweg gute Werte – mit zwei Ausnahmen: bei der Beschäftigung und beim Umsatz in der Mobilitätswirtschaft. Wesentliche Aufgabe müsse die Sicherung der heutigen Standorte und Fertigungstiefen in der Breite von Forschung und Entwicklung, Komponentenfertigung und Endmontage sein. Gelinge dies nicht, bestehe insbesondere bei Komponenten- und Aggregatwerken die Gefahr von Arbeitsplatzverlusten in erheblichem Ausmaß.

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