Ein Studientag zum religiös motivierten Extremismus versucht, auch den Salafismus einzuordnen. Aber das Pädagogisch-Kulturelle Centrum beleuchtet auch die Friedensethik der islamischen Theologie.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Freudental - Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dem Salafismus entgegenzutreten und über unsere Werte zu diskutieren“, sagt Ibrahim Etem Ebrem. Der Heidelberger arbeitet unter anderem für die Landeszentrale für politische Bildung in der Erwachsenenbildung, gibt also Lehrern das entsprechende Rüstzeug an die Hand, damit sie erkennen können, wann sich ihre Schüler vom Salafismus angesprochen fühlen. Etem Ebrems Thema beim diesjährigen Studientag im Pädagogisch-Kulturellen Centrum (PKC) in Freudental waren jugendliche Muslime und ihre mögliche Gefährdung, dem extremistischen Denken der Salafisten zu verfallen.

 

Unter dem Motto „Terror hat keine Religion“ widmete sich das PKC einem Thema, das durch die Ereignisse der vergangenen Tage an Aktualität gewonnen hat. Es geht um religiös motivierte Gewalt. Die Städte Paris, Hannover, Brüssel stehen im Bewusstsein vieler Menschen momentan für die Bluttaten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) oder für die Angst vor dessen Taten. 7000 Salafisten gibt es nach Worten Etem Ebrems in Deutschland.

Etwa 4,2 Millionen Muslime haben vor der Flüchtlingsbewegung in Deutschland gelebt. Ihre Organisationen wie etwa der Zentralrat der Muslime werden von den Salafisten abgelehnt, da sie die westlichen Menschen- und Grundrechte für vereinbar mit dem Leben eines gläubigen Moslems halten. Salafisten warnen deshalb vor vielen muslimischen Vereinen.

Jugendliche definieren sich nicht nur über ihre Religion

Diese extreme Haltung mache auch der überwiegenden Mehrzahl der jungen Muslime in Deutschland Angst. Denn für sie, betont Etem Ebrem, sei Religion nicht die einzige Basis, über die sie ihre Identität definierten. Genauso wichtig seien Kleidung, Musik und Lifestyle. Das Modelabel „Styleislam“, das Melih Kesmen gegründet hat, ein Deutscher mit türkischen Wurzeln, verdeutlicht das. Auf einem T-Shirt, das er einst nach Anschlägen auf die Londoner U-Bahn entworfen hat, steht: „I love my Prophet“. Besonders unter jungen Muslimen finden die Produkte des Labels reißenden Absatz. Mit Islamismus habe dieses Bekenntnis zur islamischen Religion nichts zu tun, da seien sich Pädagogen und Sicherheitsexperten einig, so Etem Ebrem.

Gefährlicher sind, betrachtet man Etem Ebrems Beispiele, die Videos, Veranstaltungen und gezielten Ansprachen, mit denen Salafisten versuchen, neue Anhänger anzuwerben. „Wir haben es zu lange versäumt, Lehrer für den deutschsprachigen Islamunterricht auszubilden“, sagt der 31-Jährige. Aus seiner eigenen Sozialisation wisse er, dass Jugendliche mangels anderer verfügbarer deutscher Texte irgendwann auf den Seiten von Hasspredigern wie Pierre Vogel landeten.

Der IS bietet Endzeitkämpfe an

Was zudem den Anhängern des rückwärtsgewandten Islam der Salafisten in die Hände spiele, sei die Tatsache, dass der Prophet von einer Entscheidungsschlacht in Syrien gesprochen habe. Prophezeiung und Realität treffen in dem arabischen Land nun aufeinander. „Es werden Endzeitkämpfe angeboten“, sagt der Pädagoge.

Erlebnisse also, bei denen Jugendliche das erleben könnten, was Pädagogen Selbstwirksamkeit nennen. Das gehe einher mit der Ablehnung demokratischer Grundwerte, von Andersdenkenden – und einer Autoritätshörigkeit, sagt Etem Ebrem. Für viele sei die Abkehr vom demokratischen Grundkonsens eine einfache Lösung in einer komplizierten Welt.

Die Friedenethik des Islam bleibt ungehört

Dass sich aus dem Koran, der Schrift des Islam, auch eine sehr viel friedfertigere und dennoch gläubige Lebensweise ableiten lasse, zeigte der Religionswissenschaftler Stefan Schreiner von der Universität Tübingen in Freudental auf. Das Motto des Tages aufgreifend sagte er: „Terror hat keine Religion, aber er kann Religion problemlos nutzen.“ Der Islam unterscheide sich darin nicht von anderen Religionen. Entscheidend sei, in welchem Kontext die Ausführenden der Religion sie interpretieren.

Dass es auch im Islam eine Friedensethik gibt, haben viele Gelehrte im vorigen Jahr in einem offenen Brief an den Führer des Islamischen Staates, Abu Bakr al Baghdadi, dokumentiert. Dort hielten die Gelehrten fest, was im Namen des Islam verboten sei: Zwangskonvertierung, töten, foltern, die diskriminierende Behandlung von Frauen, Kindern oder anderen Religionsgruppen wie die Jesiden etwa.

Der Brief, der zum einen als Gesprächsangebot und zum anderen für die nichtislamische Welt als deutliche Positionierung gedacht war, sei weitestgehend unbeachtet geblieben. Zumal, auch das betonte Schreiner: die Taten des IS seien nichts Neues. Saudi-Arabien praktiziere den Wahhabismus, eine streng konservative Form des Islam, seit Langem – allerdings als Verbündeter des Westens.