Vor dem Stuttgarter Landgericht ist am Freitag das Verfahren gegen fünf Stuttgart-21-Gegner zu Ende gegangen. Die Kammer verhängte deutlich niedrigere Strafen, als der Staatsanwalt gefordert hatte.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Mit ungewöhnlichen Worten ist das Verfahren um eine Schlägerei auf dem Stuttgart-21-Gelände am Freitag am Stuttgarter Landgericht zu Ende gegangen. Die Vorsitzende Richterin Cornelie Eßlinger-Graf bedankte sich ausdrücklich bei allen Beteiligten für die Offenheit und die Kooperation, die sie im Laufe des Verfahrens an den Tag gelegt hatten. Auch bei den Zuhörern im Saal, einer treuen Schar Stuttgart-21-Gegner, bedankte sie sich für deren ruhiges Verhalten. „Ich wusste ja auch nicht, was da auf mich zukommt“, gestand die Richterin.

 

In dem Verfahren waren fünf Stuttgart-21-Gegner angeklagt. Die Staatsanwaltschaft hatte ihnen Landfriedensbruch und einen Angriff auf einen Polizeibeamten vorgeworfen. Der Angriff fand am Abend des 20. Juni 2011 statt, als nach einer friedlichen Montagsdemo eine Gruppe den Zaun an der Baustelle für die Grundwassermanagementanlage umriss und das Baugelände mehrere Stunden lang in Beschlag nahm. Angeklagt waren fünf Personen im Alter zwischen 19 und 70 Jahren wegen schweren Landfriedensbruchs und gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung.

Urteile wegen Körperverletzung und Landfriedensbruchs

Wegen gefährlicher Körperverletzung und schweren Landfriedensbruchs verurteilte das Gericht einen 50-jährigen Mann zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Bei ihm sah es die Kammer als erwiesen an, dass er den Polizeibeamten in Zivil ins Gesicht und gegen den Hals geschlagen hatte. Er war auf den Beamten losgegangen, als dieser einen Mann kontrollierte, der sich an einer Baumaschine zu schaffen gemacht hatte. Der 50-Jährige hatte in einem ausführlichen letzten Wort am vorletzten Verhandlungstag erneut erklärt, was im Laufe der Verhandlung und in den knapp zwei Jahren seit dem Zwischenfall immer und immer wieder in Internetforen die Runde gemacht hatte: Er habe den Mann aufhalten wollen, weil er bewaffnet in der Menge unterwegs war. Als Polizist habe er ihn nicht erkannt.

Ein 70-jähriger Mann wurde wegen versuchter Körperverletzung und Landfriedensbruchs zu einer Bewährungsstrafe von fünf Monaten verurteilt, ein 55-jähriger Mann wegen schweren Landfriedensbruchs ebenfalls zu fünf Monaten auf Bewährung. Bei einem 39-Jährigen Mann, der einen Teil des Geschehens mit dem Handy gefilmt hatte, blieben eine Beleidigung des Polizeibeamten und ein Hausfriedensbruch von den Tatvorwürfen übrig. Dafür verhängte das Gericht eine Geldstrafe von 1500 Euro. Eine 19-Jährige muss wegen Hausfriedensbruchs 30 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.

Richterin sieht keinen Anlass für den Angriff auf den Polizisten

Die Kammer blieb mit ihrem Urteil deutlich unter den Strafmaßen, die der Staatsanwalt in seinem Plädoyer gefordert hatte. Er wollte den 50-Jährigen für ein Jahr und neun Monate ohne Bewährung in Haft sehen, für den 70-Jährigen hatte er ein Jahr Haftstrafe mit Bewährung gefordert, für den 55-Jährigen ein Jahr und drei Monate und für den 39-Jährigen acht Monate, ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt. Die 19-Jährige hätte aus Sicht des Staatsanwalts 80 Arbeitsstunden verrichten sollen.

Die Richterin redete allen Beteiligten bei ihrer ausführlichen Urteilsbegründung noch einmal deutlich ins Gewissen. Die Beweisaufnahme habe nicht den geringsten Ansatz ergeben, dass der Polizeibeamte sich ein Fehlverhalten zu Schulden hätte kommen lassen. Ein Angriff auf ihn sei daher nicht zu rechtfertigen gewesen.

Sie ordnete auch den Vorwurf des Landfriedensbruchs ein. Ihrer Ansicht nach müsse man diesen in jedem Einzelfall sorgfältig prüfen. Man könne nicht allen Personen, die auf dem Gelände waren, diesen Tatvorwurf machen. Es stehen noch etliche Verfahren gegen Teilnehmer der Baustellenbesetzung an.

Mehrere der fünf Verteidiger wollten am Freitag noch mit ihren Mandanten beraten, ob sie eine Revision des Urteils beantragen werden.