Brennend aus dem Fenster springen oder verprügelt werden: für den Stuttgarter Stuntman Ferdinand Fischer gehört das zum Berufsalltag.

Digital Desk: Jörg Breithut (jbr)
Stuttgart - Klappe, die erste. Ferdinand Fischer radelt auf die Treppe zu. An der obersten Stufe reißt er den Lenker herum. Er verliert die Balance, kippt seitlich um und schlägt mit dem Rücken auf dem Betonboden auf. Er bleibt einen Moment lang liegen, rappelt sich auf, schüttelt sich, rückt die versteckten Kunststoffprotektoren unter der Jacke zurecht. Dann alles auf Anfang. Fischer wirft sich ein zweites und ein drittes Mal die Stufen hinab. Schließlich nickt der Regisseur, die Szene ist im Kasten.Während Fischer immer wieder auf dem Asphalt landet, hat sich Christian Ulmen in den Schatten der Plattenbauten zurückgezogen. Der Hauptdarsteller des Films "Babydaddy" sitzt abseits des Filmsets in Stuttgart-Freiberg auf einen Mauervorsprung und hat sich Ohrhörer seines iPhones aufgesetzt. Der Schauspieler, der mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Bambi ausgezeichnet wurde, hat Pause. Aus der Ferne ist er von Fischer kaum zu unterscheiden. Sie tragen beide braune Cordjacken, Fischer hat sich eine Perücke mit Ulmen-Frisur über die kurz geschorenen Haare gestülpt, der Dreitagebart ist aufgemalt. Im Film soll es später so aussehen, als stürze Ulmen mit dem Fahrrad die Treppe hinab. Doch für ihn ist die Szene zu riskant.

Ferdinand Fischer nimmt das Verletzungsrisiko auf sich, für ihn ist dieser Job reine Routine. "Ich weiß, was mein Körper aushält", sagt der 32-Jährige. "Dieses Mal sollte ich mich nur fallen lassen wie ein nasser Sack. Das hat gut geklappt." Der Stuntman aus Stuttgart verdient sein Geld damit, den Kopf hinzuhalten, wenn es für andere zu gefährlich wird. Nicht immer sind Stuntszenen spektakulär: Es gehört zu Fischer Berufsalltag, in Supermarktregale zu springen, die Reifen eines Autos durchdrehen zu lassen - oder eben eine Treppe hinunterzurollen.

Bereits als Kind klettert Ferdinand Fischer häufig auf Felsen und Häuser und springt wieder hinunter. Eine seiner Lieblingssendungen ist "Ein Colt für alle Fälle". Die Fernsehserie aus den achtziger Jahren fasziniert Ferdinand Fischer, er ist begeistert von Colt Seavers, dem Serienhelden, der als Stuntman arbeitet und nebenher Verbrecher jagt. Mit zwölf Jahren besorgt sich Fischer heimlich einen Enterhaken und befestigt ein Seil daran. Er wirft es auf die Flachdächer in seiner Nachbarschaft, zieht sich daran hoch, springt von Haus zu Haus.

"Alle versuchen dir auszureden, Stuntman zu werden"


Seine Eltern halten nichts vom Hobby ihres Sohnes. Auch seine Freunde wollen ihn davon abbringen. "Fast alle versuchen dir auszureden, Stuntman zu werden", sagt Ferdinand Fischer heute. Er lässt sich von seinem Berufsweg aber nicht abbringen, nimmt mit dem Skateboard fast jedes Hindernis, springt von immer höheren Klippen ins Meer. Ferdinand Fischer ist 19, als er die Schule abbricht, zwei Wochen vor der Abiturprüfung. Er verzichtet auf den Abschluss, weil er befürchtet, dass seine Eltern ihn doch noch davon überzeugen könnten, zu studieren.

Für seinen Traumberuf findet er in Deutschland keine passende Ausbildungsstelle, die meisten Schulen erscheinen ihm unseriös, ein Stuntmanstudium gibt es nicht. Fischer hat keine andere Wahl, als sich selbst um seine Karriere zu kümmern. Er packt seine Koffer und zieht hinaus in die Welt. Mehrere Monate reist er durch Kenia, lebt in Tansania und wohnt fünf Jahre lang in Brasilien. Er surft, absolviert ein Akrobatiktraining und bringt sich südamerikanische Kampfsportarten wie Capoeira bei. Geld verdient er zunächst als Fotograf und Reisebegleiter auf Safaris.

Schließlich wird er für kleinere Filmproduktionen engagiert. Fischer baut sich ein Netzwerk auf, er knüpft Kontakte nach Hollywood, arbeitet in der Sommerzeit als Lehrer für eine Stuntschule in der Schweiz. Seine spektakulären Sprünge veröffentlicht er im Internet. Zurück in Deutschland arbeitet er sich in der Filmindustrie hoch. In der Fernsehserie "Soko Stuttgart" springt Fischer bei gefährlichen Szenen für Peter Ketnath ein, der den Ermittler Joachim Stoll spielt. Beim Videodreh zum Song "Troy" der Fantastischen Vier koordiniert er die Stunts, verkleidet als Rapper Max Herre lässt er sich im Musikvideo "Du weißt" von einem Auto überfahren.


von Clipfish

 


Am Filmset blendet er die Furcht aus


Wenn alles gut vorbereitet ist, dann verspüre er keine Angst mehr bei seinem Job, sagt Fischer. Auch nicht bei seinen waghalsigen Sprüngen. Aus 45 Meter Höhe hat er sich im vergangenen Jahr im bayerischen Dollnstein von einem Felsen hinabgestürzt, lediglich ein Kartonstapel bremste den Aufprall. Weltrekord im freien Fall. Monatelang hatte er sich darauf akribisch vorbereitet, suchte die richtigen Kartons heraus, stellte sich immer wieder oben auf den Gipfel und blickte in die Tiefe. Das erste Mal dachte er noch: "Junge, Junge, das ist ganz schön hoch." Aber mit der Zeit gewöhnte er sich an den Gedanken, einfach abzuspringen. "Der Sprung dauerte drei Sekunden, die Vorbereitungen mehrere Monate."



Am Filmset blendet er die Furcht aus. "Ich würde keine Millisekunde an Angst verschwenden", sagt Fischer. Nur so könne er die Ruhe bewahren. "Ich war schon öfter im Krankenhaus, bin aber immer am Abend noch aus eigener Kraft nach Hause gekommen." Von Sendungen wie "Jackass", bei denen sich Stuntleute bewusst verletzen, hält er nichts. Das bringe seine Branche in Verruf. Ferdinand Fischer sagt: "Wenn sich ein Stuntman verletzt, dann hat er seinen Job nicht richtig gemacht." Bei den Dreharbeiten zum Hollywoodfilm "Inglourious Basterds" vor zwei Jahren geriet Fischer in eine brenzlige Situation - im wahrsten Sinne.