Der Seitenteil des Hauptbahnhofs sollte ursprünglich in Etappen weichen. Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 übt Kritik.  

Stuttgart - Die Ankündigung des Stuttgart-21-Sprechers Wolfgang Dietrich kam am Donnerstag überraschend: Der Südflügel des Hauptbahnhofs und die bis zu 200 Jahre alten Bäume im Schlossgarten müssten bis Ende des Jahres beseitigt worden sein, um den Zeitverzug aufzuholen, den es bei den Bauarbeiten für das Milliardenprojekt gebe, sagte er. Dies hat das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 zu einer harschen Reaktion veranlasst: Für dessen Sprecherin, die BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender, ist Dietrich "selbstherrlich", er betreibe "Machtspiele" und trete den Rechtsstaat mit Füßen. Die Bahn habe nun deutlich offenbart, dass ihr Forderungen der grün-roten Landesregierung und der Bevölkerung egal seien. Gegen alle Widerstände wolle die DB noch vor der Volksabstimmung Ende des Jahres Fakten schaffen. Getrieben werde die Bahn von der Angst, dass die wahren Kosten für das Milliardenprojekt vorher ans Licht kämen.

 

Die Projektkritiker verweisen auf einen vergleichbaren Vorgang vor einem Jahr. Der Abriss des Nordflügels erfolgte ihrer Ansicht nach allein aus politischen Gründen, bautechnisch sei er nicht nötig gewesen. Als Beleg dafür führen sie mittlerweile veröffentlichte Unterlagen aus dem Büro des ehemaligen Projektleiters Hany Azer an, in denen er Mehrkosten beim Grundwassermanagement und dem Technikgebäude infolge des zeitlich vorverlegten Abrisses des Nordflügel-Gebäudeteils benannt hatte.

Die Seitenteile müssen für den Tiefbahnhof weichen

Bekanntlich bleibt das Hauptgebäude des denkmalgeschützten Bontzbaus erhalten. Die Seitenteile aber müssen für den neuen Tiefbahnhof weichen. Dass der Südflügel in einem Zug komplett abgerissen werden soll, sei aber so bisher nicht bekannt gewesen, heißt es im gegnerischen Lager. Der neue Projektleiter Stefan Penn hat, wie berichtet, betont, er könne jederzeit die Bagger auffahren lassen. Das Kommunikationsbüro sah sich am Freitag indes nicht in der Lage zu sagen, ob der Auftrag dafür schon vergeben worden ist.

In der Darstellung der Deutschen Bahn über die Bauabwicklung, die beispielsweise in der Schlichtung präsentiert wurde, ist der Abriss des Südflügels kein Thema. Auch das Argument, der Gebäudeteil müsse einer Baustraße weichen, vermochte die Bahn bisher nicht schlüssig zu erklären. Diese gibt es bereits mit der Straße Am Schlossgarten, die für den öffentlichen Verkehr gesperrt wird. Die veröffentlichten Schaubilder der Bahn sehen in diesem Bereich gar keine neu anzulegende Logistikstrecke vor.

Genaueres mann man in acht Tagen sagen

Im Februar 2009 sah der Ablaufplan noch ganz anders aus. Aus Unterlagen für den Umbau des Gleisvorfelds geht hervor, dass Kabel in den südlichen Gebäudeteil zu legen seien; das deutete auf eine längere Zwischennutzung hin, die nun aber nicht mehr geplant sei, wie eine Sprecherin gegenüber der StZ bestätigte. Laut Vergabeunterlagen sollte die Abrissbirne in einem ersten Schritt lediglich eine Schneise zwischen zwei Hallenachsen schlagen. In diese Lücke sollte ein behindertengerechter Steg stoßen, der über die Straße Am Schlossgarten führt und den Schlossgarten mit dem um 110 Meter in Richtung Bad Cannstatt zu verlegenden Interimsquerbahnsteig verbindet. Dessen Bau ist zwar wie die Schließung des Personentunnels zwischen Parkhaus und Bahnsteigen für die Zeit zwischen November 2011 und Februar 2012 terminiert worden, doch hat die Bahn eingeräumt, dem Zeitplan derzeit acht Monate hinterherzuhinken.

Darauf, dass große Teile des Südflügels länger stehen bleiben sollten, weisen auch diverse ursprünglich geplante Baumaßnahmen hin, die die Statik verbessert hätten. So sollten unter anderem "die Fensteröffnungen ausgemauert" werden. Wie sich die Bahn die Anbindung des Stegs an den Querbahnsteig vorstellt, wenn der Südflügel nicht mehr existiert, sei Gegenstand von Gesprächen, so die Projektsprecherin. Genaueres könne sie in acht Tagen sagen.

Das Gartenbauamt begutachtet schon lange die Bäume

Auch die Ankündigung von Projektsprecher Dietrich, "bis zum Ende des Jahres müssen die Bäume weg", hat im gegnerischen Lager Unmut ausgelöst. Es wird befürchtet, dass die im Rahmen der Schlichtung beschlossenen Verpflanzungen nicht mit der notwendigen Sorgfalt vonstattengehen könnten. Grundsätzlich müssen größere Bäume monatelang auf das Umsetzen vorbereitet werden. Der Ballen sollte umgegraben, die Wurzeln sollten gekappt und die Bäume zurückgeschnitten werden.

Der Sprecher der Stadt Stuttgart, Markus Vogt, sagte, in einem von OB Wolfgang Schuster initiierten Dialogforum unter der Leitung von Ortwin Renn würden Fachleute von Befürwortern wie Gegnern darüber diskutieren, welche Bäume erhalten werden könnten und bei welchen sich keine Verpflanzung anbiete. Das Gartenbauamt sei längst dabei, die Bäume zu begutachten. Im Herbst stehen nicht nur jene im Schlossgarten zur Fällung an. Auch im Rosensteinpark sind Rodungen geplant.

Protest am Freitag rund um den Bahnhof

Schweigemarsch: Der erste Protestzug startete am Freitag um 16 Uhr mit rund 100 Teilnehmern   an der Mahnwache der Stuttgart-21-Gegner. Diese Demo war als „Schweigemarsch“ aus Solidarität mit den Internetreportern gedacht, die sich zum Team CamS 21 zusammengeschlossen haben. Bei mehreren von ihnen waren vergangene Woche die Wohnungen durchsucht und dabei Datenträger sichergestellt worden. Die Durchsuchungen stehen im Zusammenhang mit der Stürmung der Baustelle für das Grundwassermanagement am 20. Juni. Die Netzreporter hatten mit Handys und Filmkameras das Geschehen festgehalten. Einigen von ihnen wird wegen der Baustellenstürmung Landfriedensbruch vorgeworfen. Die Demonstranten des von der Gruppe der Rohrpiraten angeregten „Schweigemarsches“ werten das als Versuch, die CamS-21-Reporter einzuschüchtern, die bei allen Ereignissen rund um den Bahnhof und bei den Demos mit dabei sind. Ihre Filme stellen sie teilweise live ins Internet.

 Weckruf: Die „Parkschützer“ riefen am Abend zu einer Demonstration unter dem Motto „Weckruf“ auf. „Grün-Rot aufwachen – S-21-Betrug stoppen“ hatten sich die Teilnehmer auf die Fahnen geschrieben, die mit Weckern einen „Schwabenstreich spezial“ veranstalteten. Der Demozug startete am Schlossplatz, die Gegner gingen von dort zur SPD-Zentrale am Wilhelmsplatz und von dort in den Schlossgarten. Die Veranstaltung war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendet.