Die Stuttgarter Grünen lehnen einen Bürgerentscheid über den Ausstieg aus S 21 wegen Mehrkosten ab. Aber wie bewerten sie nun ihre eigene Argumentation, der Tiefbahnhof sei faktisch ein Rückbau und halte die versprochene Verbesserung der Leistungsfähigkeit nicht?

Stuttgart - Ein Jahr vor der Landtagswahl 2016 klebt zumindest den Grünen in Stuttgart das Bahnprojekt Stuttgart 21 noch immer wie alter Kaugummi an der Sohle. Die Grünen – in Regierungsverantwortung im Land und mit OB Fritz Kuhn und einer starken Ratsfraktion im Stuttgarter Gemeinderat – befinden sich intern als ehemalige Tiefbahnhof-Widerstandspartei in einem Zustand permanenter Erklärungsnot. Die Projektbefürworter können dagegen ungeachtet von Kostenexplosionen und Planungsmängeln in ihren Wählerkreisen keinerlei Unruhe ausmachen, und S-21-Gegner wie SÖS-Linke-Plus erhalten in ihren Reihen weiter Bestätigung für den Konfrontationskurs.

 

Nach der Volksabstimmung eine Kostenexplosion

Allein auf das Ergebnis der Volksabstimmung von 2011 und diverser für die Kritiker negativer Gerichtsurteile zu verweisen, trägt – wie die mittlerweile vier Bürgerbegehren zeigen – ganz offensichtlich nicht dazu bei, dass S 21 einfach ertragen wird. Das muss auch nicht verwundern, schließlich sind damals kurz nach dem Plebiszit Mehrkosten eingeräumt worden, die schon zuvor bekannt waren. Und das Debakel der Filderbahnhofplanung, das zu jahrelangen Verzögerungen führt, war ebenfalls absehbar, hatte doch das Eisenbahnbundesamt schon 2011 die Prognosen zur Leistungsfähigkeit für den von Fern-, Regional- und Nahverkehr gemeinsam genutzten Streckenast für völlig unzureichend erklärt.

Äußern sich die Grünen kritisch oder konstruktiv zu S 21, steht immer die Goldwaage parat. Zuletzt musste dies Stadtrat Jochen Stopper, der als potenzieller Nachfolger des wohl auf die Bürgermeisterbank wechselnden Fraktionschefs Peter Pätzold gehandelt wird, erfahren. Ziemlich gedrechselt und ausufernd hatte er darüber referiert, dass die Stuttgarter Bevölkerung in einigen Jahren womöglich in die Zwangslage versetzt würde, per Bürgerentscheid freiwillig Projekt-Mehrkosten zuzustimmen – nur damit die Bahn die unterirdischen Grabungen überhaupt beendet.

Szenario: Bürger wollen Mehrkosten bezahlen

Ein unangenehmes Szenario, doch Stopper drehte mit seiner Fraktion danach Pirouetten, um ihrer Anhängerschaft öffentlich zu erläutern, dass dies zwar realistisch, aber natürlich nicht in ihrem Sinne wäre und für die Stadt (zumindest ohne Bürgervotum) nicht verpflichtend. Überhaupt sei mal wieder die SPD schuld, die den Entscheid einst gefordert habe.

Gegenstand dieser Debatte im Rathaus war das Bürgerbegehren gewesen, wegen der Kostenexplosionen aus dem Finanzierungsvertrag auszusteigen und S 21 zu beenden. Die Grünen waren sich mit ihrem OB und den Projektbefürwortern einig: Der Antrag verfolgt ein rechtswidriges Ziel, die Partner seien sich 2009 nämlich einig gewesen, eine Kündigung (aus Kostengründen) auszuschließen. Zudem hatten sie für den Fall von Mehrkosten vereinbart, über deren Verteilung zu sprechen und die Stadt dabei außen vor zu lassen. Der Beschlussantrag wurde auf Antrag von SÖS-Linke-Plus auf Anfang Juli vertagt.

Debatte über Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21

In zwei Sitzungen kommt dann ein weiteres Bürgerbegehren zur Sprache, das Kuhn und die Grünen in die nächste Zwangslage bringen könnte. Dasselbe Ziel, die Vertragskündigung, wird diesmal mit der mangelnden Leistungsfähigkeit begründet. Ein im Finanzierungsvertrag zugesagtes „um 50 Prozent erhöhtes Zugangebot“ und eine verkehrliche Verbesserung seien nicht realisierbar, sagen Kritiker. Der Stresstest, der die Differenzen zu klären hatte, sei fehlerbehaftet gewesen.

Das Landesverkehrsministerium meint dazu, die Schlussfolgerung, S 21 stelle einen geplanten Rückbau dar, sei nicht „herleitbar“. Damit sei aber keine Aussage über die „erweiterte Leistungsfähigkeit“ getroffen, die Störfälle, Taktfahrplan oder nachträgliche Erweiterbarkeit betreffe. Es bestünden jedenfalls „Zweifel an der Erreichbarkeit des vereinbarten Ziels“. Die Leistungsfähigkeit von S 21 sei offen. Eine Gegenüberstellung von Kopf- und Tiefbahnhof „liegt nicht vor und scheiterte bislang an der fehlenden Bereitschaft der Bahn zu einer solchen Untersuchung“. Die Sachlage ist also weniger klar als bei den Kosten.

Auch deshalb sind die Kritiker, die eine „gestörte Geschäftsgrundlage“ attestieren, gespannt, wie der OB die Ablehnung des Bürgerentscheids begründet. Eine Sprechklausel wie bei den Mehrkosten, mit der sich Leistungsdefizite heilen ließen, gebe es nicht. Auf die Argumentation der Grünen und den Vortrag von Jochen Stopper sind sie ebenfalls gespannt, waren es doch gerade sie, die bisher S 21 eine höhere Leistungsfähigkeit abgesprochen haben.