Stuttgart-21-Gegner haben den Kirchentagsbesuchern vermittelt, warum sie gegen das Milliardenprojekt sind. In einem Brief an den Landesbischof machen sie auf das Schicksal eines Mitstreiters aufmerksam, der in Erzwingungshaft saß.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Die Ansage von der Bühne hat Begeisterung hervorgerufen: Passend zum Wetter boten die Organisatoren der Großdemonstration gegen Stuttgart 21 am Samstag wieder die lindgrünen Schirme an, auf denen der Slogan „Oben bleiben!“ prangt. Bald schon bildete sich ein Sonnendach aus lauter Schirmen, frisch gekauften und auf vielen Kundgebungen bewährten, über den Köpfen der Demonstranten. So wurde die Demo schnell die einzige Veranstaltung in Stuttgart dieser Tage, die nicht von der roten Farbe der Kirchentagsschals mit dem Motto „Damit wir klug werden“ geprägt war. Die Veranstalter zählten rund 7000 Teilnehmer, die Polizei kam auf 2000.

 

Mitstreiter aus Erzwingungshaft entlassen

Die S-21-Gegner wollten während des Kirchentags für ihr Anliegen werben. Dabei ist auch ein Motivationsgrund gewesen, dass das Präsidium des Kirchentags seine Entscheidung für Stuttgart als Veranstaltungsort mit der Auseinandersetzung um das Großprojekt begründet hatte. Im offiziellen Kirchentagsprogramm fanden sich allerdings kaum Veranstaltungen zu dem Thema. Deswegen stellten die Projektgegner ihr eigenes auf die Beine. Mit einem offenen Brief an den Landesbischof Otfried July machten sie auf einen Mitstreiter aufmerksam, der während der Kirchentagswoche mehrere Tage in Erzwingungshaft saß und in Hungerstreik trat. Er hatte sich geweigert, eine Geldstrafe zu zahlen, die wegen einer Baustellenblockade verhängt worden war. Das Verwaltungsgericht habe festgestellt, dass es für die Anzeige keine Grundlage gegeben habe, heißt es in dem Brief. Am Freitag wurde der Mitstreiter vorzeitig entlassen, am Samstag kam er zur Demo.

Bei der Großdemo vor dem Bahnhof sah man viele bekannte Gesichter, die sich als treue Weggefährten aus der Protestbewegung kennen. Neugierig mischten sich Kirchentagsbesucher darunter, denn von den Stuttgarter S-21-Demos hat man schließlich deutschlandweit schon gehört.

Willkommen sind alle, das machte der erste Redner, Martin Poguntke, vom Team der Theologen gegen Stuttgart 21 deutlich. „Liebe Protestantinnen und Protestanten – aller Konfessionen! Liebe Agnostiker! Liebe – wenn ich hier den Theologen Schleiermacher zitieren darf – Gebildete unter den Verächtern der Religion“, grüßte er allumfassend. Unabhängig von der Einstellung zu Religion und Glaube verbinde alle Teilnehmer eines: „Die Empörung über ein Bauprojekt, für das es geradezu verharmlosend ist, es nur Murks zu nennen“, sagte Martin Poguntke.

Um die Kirchentagsbesucher zu informieren, nannte der Theologe zahlreiche Kritikpunkte am Projekt, die dem harten Kern der Demonstranten weitgehend bekannt sein dürften. Dazu zählt das Brandschutzkonzept ebenso wie die Tatsache, dass von 60 Tunnelkilometern erst fünfeinhalb gebaut seien. Christen sollten sich wegen der Verantwortung für die Schöpfung und der biblischen Warnung vor der Geldgier gegen Stuttgart 21 positionieren.

Franz Alt: Demos gegen das Milliardenprojekt sind wichtig

Der Journalist Franz Alt als zweiter Redner betonte, dass es immer noch wichtig sei, für ein Ende des Milliardenprojekts auf die Straße zu gehen. Er berichtete von österreichischen Atomkraftgegnern, die es geschafft haben, dass ein fertig gebautes Atomkraftwerk (AKW) nicht in Betrieb genommen wurde: „Wenn ein zu 100 Prozent fertig gebautes AKW gestoppt werden kann, dann kann auch ein Bahnhof gestoppt werden, der noch nicht einmal zu zehn Prozent gebaut ist“, führte Alt aus.

Als dritter Redner trat ein Urgestein der Bewegung, der Theaterregisseur Volker Lösch, auf. Seine zentralen Themen sind die Kapitalismuskritik und die Vorwürfe gegen die Landesregierung. „Kümmert euch um den Kapitalismus, denn Gott sieht alles“, rief er in die Menge.