Die erwartet schwierige Geologie der Landeshauptstadt verlangt den Tunnelbauern bei Stuttgart 21 einiges ab. Von den schlechten Nachrichten für das Projekt ist auf den Baustellen wenig zu spüren.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Drei Tage, nachdem sich abzeichnende Verzögerungen sowie enger werdende finanzielle Spielräume bei Stuttgart 21 bekannt geworden sind, gehen die Arbeiten auf den Baustellen ungerührt weiter. Ein Grund dafür, dass man stellenweise in den Tunnels langsamer vorankommt als geplant, ist der Anhydrit – beziehungsweise neue Erkenntnisse, wie mit der Gesteinsformation umzugehen ist, die besondere Umsicht beim Bauen erfordert. Kommt das Gestein mit Wasser in Berührung, beginnt es zu quillen, was Schäden sowohl an der Geländeoberfläche wie auch am Tunnel selbst nach sich ziehen kann.

 

Beim Bau der S-21-Röhren aus Feuerbach und Bad Cannstatt kommend in Richtung Innenstadt ist die Bahn auf Anhydritvorkommen von nennenswertem Ausmaß gestoßen. An drei Stellen – unter dem Kriegsberg, im Bereich der Mönchhalde sowie am Wartberg – haben die Mineure ihn vorgefunden. „Linsen“ nennen sie diese Gebiete, die nicht ganz unvermittelt aufgetaucht sind. Dem Bau ist ein umfangreiches Erkundungsprogramm mit Probebohrungen vorausgegangen.

Gestein wird im Labor untersucht

Vor Ort im Tunnel, 750 Meter vom Einstieg am Nordbahnhof entfernt, sieht man, dass man nichts sieht. Martin Wittke von Wittke Beratende Ingenieure hält tief unter der Robert-Mayer-Straße zwei Bohrkerne hoch, die sich gleichen wie ein Ei dem anderen. „Ob das Gestein anhydritführend ist oder nicht, lässt sich visuell nicht unterscheiden.“ Erst der Laborbefund bringt Gewissheit. Und eben an jener Stelle im Stuttgarter Norden sind nun mehr als 50 Meter Tunnelstrecke durch das kritische Gestein hindurchgetrieben.

Die Arbeiten werden mit Argusaugen beobachtet. Zum einen durch genaue Vermessungen, zum anderen von Projektkritikern, die das Bauen im Anhydrit für ein nicht kalkulierbares Risiko halten. Letzteren bleibt nur der Augenschein an der Geländeroberfläche – oder das Vertrauen auf die Aussagen der Experten. „An der Tunnelsohle hatten wir Hebungen von acht Millimeter“, sagt Walter Wittke, Vater von Martin Wittke und Chef des Ingenieurbüros. An der Tunneldecke war davon aber schon nichts mehr zu registrieren, an der 60 Meter weiter oben liegenden Geländeoberfläche schon gar nicht.

Wasser ist auf der Baustelle tabu

Geschuldet ist dieses problemlose Durchfahren der ersten Anhydritmeter aus Sicht von Wittke auch neuen Erkenntnissen im Umgang mit dem problematischen Gestein. Daraus resultierte eine neue Vorgehensweise unter Tage. In dem betroffenen Bereich wurde der Tunnel in Form eines umgekehrten U aus dem Berg gebrochen – ansonsten stellen die Mineure einen kreisrunden Querschnitt her. Dort wo das U über die Kreisform hinausgeht, wird verstärkt Spritzbeton eingesetzt, damit kein Wasser an das feuchtigkeitsempfindliche Gestein gelangt. 2015 ist dieses Verfahren erstmals angewendet worden.

Absolute Trockenheit beim Bau sei das A und O, wie Wittke betont. Unter Tage weisen rote Leuchtstoffröhren an der Tunnelwand die Arbeiter darauf hin, dass sie nun in einen Bereich kommen, wo Wasser ein Tabu ist. Um zu vermeiden, dass Feuchtigkeit von vorne in die Baustelle eindringt, werden vor dem eigentlichen Tunnelbau bis zu acht Meter lange Bohrungen in den Berg eingebracht, in die organische Verbindungen gepresst werden, die die Baustelle abdichten. 144 Millionen Euro an Mehrkosten veranschlagt die Bahn nunmehr für das geänderte Bauverfahren im Anhydrit.

Auch andernorts gibt es in Stuttgart Tunnel im Anhydrit

Wie lokal begrenzt die Vorkommen der Gesteinsformation ist, haben die S-21-Bauer an der Mönchhalde erlebt. Während die Röhre des Cannstatter Tunnels, durch die einmal die Züge Richtung Innenstadt rollen, auf mehr als 50 Meter durch die Linse getrieben werden musste, ist man beim Bau der kaum 60 Meter davon entfernt verlaufenden parallelen Röhre für die stadtauswärts fahrenden Züge problemlos durchgekommen. Dort fehlen noch gut 300 Meter, ehe die Mineure an der Jägerstraße wieder Licht sehen. Dazwischen liegt allerdings noch ein weiterer Bereich, in dem laut Erkundungsbohrungen mit Anhydrit zu rechnen ist. Dass weitere Linsen auftreten, hält Wittke für ausgeschlossen. Lediglich die Größe der Vorkommen lasse sich nicht bis auf den Zentimeter genau voraussagen. Walter Wittke erinnert daran, dass auch schon andere Tunnel in Stuttgart durch Anhydrit gebohrt wurden, so die S-Bahnverbindung von der Schwabstraße Richtung Universität: „Und dieses Bauwerk ist nun seit 30 Jahren schadensfrei.“