Am Freitag wird die Regierung das rechtlich umstrittene Kündigungsgesetz in den Landtag bringen. Eine Mehrheit ist jedoch unwahrscheinlich.

Stuttgart - Mit dem am Mittwoch verkündeten Klageverzicht der FDP-Landtagsfraktion ist der Weg zur Volksabstimmung über das Projekt Stuttgart 21 zwar noch nicht endgültig frei, doch wird damit das erste Plebiszit auf Landesebene immer wahrscheinlicher. Am 27.November sollen die Baden-Württemberger darüber entscheiden, ob das Land seine Finanzierungszusage für Stuttgart 21 zurückzieht, was wohl das Ende des Projekts nach sich ziehen würde.

 

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sagte, die Entscheidung der Liberalen sei politisch, nicht rechtlich motiviert. "Die FDP will Grün-Rot kein Alibi dafür liefern, dass es am Ende heißt, die Opposition hat das Volk auf juristischem Wege daran gehindert, ein Votum abzugeben." Die CDU-Landtagsfraktion prüft noch eine Klage vor dem Staatsgerichtshof. Auf ihrer Fraktionsklausur in Berlin wollten die Abgeordneten das Thema gestern besprechen.

Morgen wird die grün-rote Landesregierung das umstrittene Kündigungsgesetz in den Landtag einbringen. Im Sommer war es im Kabinett mit den Stimmen der Grünen sowie des SPD-Justizministers Rainer Stickelberger beschlossen worden. Der Wortlaut des Gesetzes ist denkbar kurz: "Die Landesregierung ist verpflichtet, Kündigungsrechte bei den vertraglichen Vereinbarungen mit finanziellen Verpflichtungen des Landes Baden-Württemberg für das Bahnprojekt Stuttgart 21 auszuüben."

Gründe für die Kündigung

Deutlich länger zeigt sich dagegen die Gesetzesbegründung. Erst hier, nicht im Gesetzeswortlaut, finden sich Gründe für die Vertragskündigung. Breiten Raum nehmen die Passagen ein, die sich mit den Schwachpunkten des Tiefbahnhofs beschäftigen. Zumindest, so nimmt das Stuttgarter Verkehrsministerium an, würden die ursprünglich mit dem Tiefbahnhof verknüpften Erwartungen nicht erfüllt. Auch die Kosten und finanziellen Risiken des Projekts finden Beachtung in der Gesetzesbegründung.

Der juristische Kern liegt aber woanders. Die Projektbefürworter verweisen darauf, dass die Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart 21 keine Kündigungsrechte mehr vorsieht. Wenn, dann hätte spätestens zum Ende des Jahres 2009 der Ausstieg erfolgen müssen. Diese Frist ist verstrichen. Die Landesregierung in ihrem grünen Teil einschließlich des SPD-Ministers Stickelberger erkennt dennoch ein Kündigungsrecht, das sie im Landesverwaltungsverfahrensgesetz gefunden hat. Dieses Gesetz sei einschlägig, da es sich bei der Finanzierungsvereinbarung um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handle.

Paragraf 60 dieses Gesetzes sieht in den Fällen ein außerordentliches Kündigungsrecht vor, in denen sich "die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, seit Abschluss des Vertrags so wesentlich geändert" haben. Die geänderten Verhältnisse liegen demnach aber nicht in Kostensteigerungen oder Effizienzproblemen des Tiefbahnhofs begründet, sondern in der schlichten Tatsache, dass der Gesetzgeber ein Ausstiegsgesetz beschließt. "Wenn das Gesetz zustande kommt, liegt eine neue demokratische Entscheidung vor", heißt es in der Gesetzesbegründung.

Juristisches Pro und Contra

Für den Verwaltungsrechtler Klaus-Peter Dolde ist diese Rechtsfigur ein Irrtum. In seinem Gutachten, das er im Oktober 2010 noch im Auftrag der Regierung Mappus vorlegte, schreibt Dolde: "Ein Vertragspartner kann durch Erlass eines Gesetzes nicht selbst die Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund schaffen." Allein die Änderung des politischen Willens eines Vertragspartners, am Vertrag nicht mehr festzuhalten, führe nicht zum Wegfall der Geschäftsgrundlage.

Aber wie das so ist mit den Juristen: Zu nahezu jeder Meinung gibt es eine Gegenposition. Im Auftrag der SPD-Landtagsfraktion widersprachen die Verfassungsrechtler Georg Hermes und Joachim Wieland ihrem Kollegen Dolde. Das Kündigungsrecht nach dem Landesverwaltungsverfahrensgesetz gelte in jedem Fall.

Ansonsten wäre eine Regierung in der Lage, über einen öffentlich-rechtlichen Vertrag die Souveränitätsrechte des Gesetzgebers außer Kraft zu setzen. Es wäre aber widersinnig, wenn ein Gesetz durch eine neue Parlamentsmehrheit oder eine Volksabstimmung aufgehoben werden könne, nicht aber aber ein von der Regierung abgeschlossener öffentlich-rechtlicher Vertrag.

Eine Mehrheit ist unwahrscheinlich

Ob so oder so: das Kündigungsgesetz wird im Landtag keine Mehrheit finden, das steht schon jetzt fest - es sei denn, es geschähe eines der von Regierungschef Winfried Kretschmann bisweilen beschworenen Wunder. Es soll ja auch keine Mehrheit finden, sondern nach der fälligen Ablehnung durch SPD, CDU und FDP den verfassungsrechtlichen Weg zur Volksabstimmung öffnen.

Zwar hat der Heidelberger Verfassungsrechtler Paul Kirchhof darauf hingewiesen, dass ausgabenwirksame Gesetze nicht Gegenstand von Volksabstimmungen sein könnten. Doch auch da halten seine Kollegen Hermes und Wieland dagegen: Dies gelte nur für das Staatshaushaltsgesetz und wenige andere Bereiche, nicht aber für alle Gesetze mit finanziellen Auswirkungen. So sehen das auch die Kommentare zur Landesverfassung.

Eines aber scheuen die Verfasser des Kündigungsgesetzes: eine klare Angabe zu den Ausstiegskosten. "Der Versuch einer Schätzung ginge zwangsläufig ins Blaue", heißt es unschuldig. Die Bahn spricht von 1,5 Milliarden Euro.