Nachbarn des Habitats am Killesberg, in das Mauereidechsen aus Untertürkheim ziehen sollen, halten die Wiesen für ungeeignet. Sie verweisen auf eine Diplomarbeit, die die Bedeutung der Flächen für die Kaltluftgewinnung für den Talkessel unterstreicht.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Die Wiesen der Feuerbacher Heide am Killesberg, die derzeit in ein Habitat für streng geschützte Mauereidechen umgewandelt werden, versorgen den Stuttgarter Talkessel mit Kaltluft. Zu diesem Ergebnis gelangte eine Diplomarbeit bereits im Jahr 2007. Die wissenschaftliche Arbeit, die seinerzeit vom Stuttgarter Amt für Umweltschutz betreut worden war, ist indes dem Stuttgarter Regierungspräsidium (RP) nach eigenen Angaben nicht bekannt. Auf Geheiß der beim RP angesiedelten höheren Naturschutzbehörde sind die Wiesen längs der Straße Am Tazzelwurm als neue Heimat jener Eidechsen ausgeguckt worden, die dem Bau von Stuttgart 21 in Untertürkheim im Wege sind. „Die Wiesen der Feuerbacher Heide können grundsätzlich als mögliche Flächen für die Kaltluftentstehung angesehen werden“, erklärt RP-Sprecher Matthias Kreuzinger. Durch die nun umgesetzten Maßnahmen werde die Kaltluftentstehung allerdings nicht nachhaltig beeinflusst, erklärt der Sprecher. Die Verfasserin der Diplomarbeit kam weiland zum Schluss, dass die Feuerbacher Heide und die Parkanlage des Killesberg „das Kaltlufteinzugsgebiet für den Stuttgarter Norden“ seien. Darauf weißen nun auch Anwohner des Quartiers hin, die vom Beginn der Bauarbeiten kalt erwischt wurden.

 

Stadt sieht kein Problem mit der neuen Nutzung

Für Wolfgang Rolli beißt sich das Auftürmen der Steinhaufen mit der Funktion der Wiese als Ort der Kaltluftentstehung. Er fragt sich „insbesondere ob diese Steinmengen nicht jetzt vielmehr als Wärmespeicher und nicht mehr als ,Kälteerzeuger’ wirken werden“, schreibt der Mann, der unweit der Wiese an der Parlerstraße lebt. Ein Argument, das man bei der Stadt Stuttgart nicht gelten lassen möchte. „Klimatische Untersuchungen zu Stuttgart 21 haben gezeigt, dass sich Schotterflächen zwar tagsüber stärker erwärmen, aber nachts im Vergleich zu Baumasse oder versiegelten Flächen auch stark abkühlen“, schreibt Stadtsprecher Martin Thronberens auf Anfrage. Bei den Wiesen am Tazzelwurm, die nun zu Habitaten für die Mauereidechsen umgestaltet werden, handelt es sich allerdings weder um versiegelte Flächen noch um Baumassen. Die Bedeutung der Wiesen ist im Rathaus hingegen durchaus bekannt. „Die bedeutsamen Bereiche der Feuerbacher Heide sind deshalb im Stuttgarter Rahmenplan Halbhöhenlage erfasst. Unter anderem dadurch ist es bisher auch gelungen, die Freiflächen freizuhalten“, erklärt Thronberens. Ob die Stadt gegenüber dem Regierungspräsidium auf die Bedeutung hingewiesen hat, bleibt offen. Der Stadtsprecher lässt es bei dem Hinweis bewenden, die Stadtklimatologen seien am Genehmigungsverfahren „beteiligt“ gewesen.

Stuttgart lässt derzeit Eidechsen zählen

Die Stadt untersucht derzeit parallel, wie es um das Vorkommen an Mauereidechsen auf ihrer Gemarkung bestellt ist. Aktuell würden durch „das beauftragte Fachgutachterbüro die Bestände im Gelände erfasst“, heißt es aus dem Rathaus. „Die Geländearbeit hat höchste Priorität, da während des Sommers bis September sehr viele und große Flächen auf das Vorkommen von Mauereidechsen überprüft werden müssen“. Hintergrund der tierischen Volkszählung: Auch bei städtischen Bauvorhaben wie der Aufsiedlung des ehemaligen Bad Cannstatter Güterbahnhofs oder der Erweiterung der Flüchtlingsunterkunft in Hofen stieß die Stadt auf Eidechsenvorkommen, für die Ausweichquartiere gefunden werden mussten. Erste Ergebnisse der „Gesamtkonzeption Eidechsen“, wie das Programm im Rathaus genannt wird, sollen Ende des Jahres mit weiteren Behörden diskutiert werden, das Endergebnis soll Anfang 2018 vorliegen. „Das ist angesichts der weiten Verbreitung der Art in Stuttgart ein sehr sportlicher Zeitplan“, heißt es im Rathaus.

Deutlich schneller soll es mit der Information der Anwohner der Killesberg-Wiesen gehen. Die Bahn will kommende Woche Faltblätter verteilen lassen. Deren Inhalt ist mit allen Projektpartnern von Stadt, Region und Land abgestimmt. Gleiches gilt für eine Bautafel, die ebenfalls in Vorbereitung ist.

Erste Mauereidechsen am Kriegsberg ausgesetzt

Stuttgart liegt eigentlich außerhalb des natürlichen Verbreitungsgebiets der Mauereidechse. Zu diesem Schluss ist ein Aufsatz gekommen, der bereits im Oktober 2011 im Fachblatt „Zeitschrift für Feldherpetologie“ erschienen ist. Die Autoren beleuchten darin die „Verbreitung und genetische Herkunft verschiedener Formen der Mauereidechse“ . Demnach kämen die Tier in Baden-Württemberg entlang des Rheins sowie an den Unter- und Mittelläufen seiner Nebenflüsse vor. Am Neckar seien die südlichsten Vorkommen bei Marbach und beim Hohenasperg zu beobachten.

Nach dem Fachaufsatz seien allerdings im Jahr 1874 zwölf Mauereidechsen im Bereich des Kriegsbergs ausgesetzt worden, wo damals Weinberge waren. Diese stammten aus der Haltung eines Professors Jäger, der sich die Tiere zuvor hatte aus Wildberg an der Nagold schicken lassen. Das Schwarzwaldstädtchen ist heute noch Heimat eines Vorkommens an Mauereidechsen.