Das Stuttgarter Verwaltungsgericht soll am Mittwoch prüfen, ob die finanzielle Beteiligung von Stadt und Land an der Finanzierung vom Bauprojekt Stuttgart 21 rechtswidrig ist.

Stuttgart - Während von Montag an im Apollo-Theater drei Tage lang über die Planänderung der Bahn diskutiert wird, für den Bau des Tiefbahnhofs doppelt so viel Grundwasser als geplant abzupumpen, geht es am Mittwoch vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart noch einmal um ganz Grundsätzliches: Ob die Mischfinanzierung von Stuttgart 21, an der auch das Land und die Stadt Stuttgart beteiligt sind, verfassungswidrig ist.

 

Geklagt hat als Vertrauensperson des Bürgerbegehrens unter anderem der Anwalt Bernhard Ludwig vom Arbeitskreis Juristen zu S 21, nach deren Rechtsauffassung es gegen das Grundgesetz verstößt, wenn das Projekt aus den Töpfen von Bund, Stadt und Land gemeinsam bezahlt wird. Der Bau eines Bahnhofs oder einer ICE-Trasse sei eine reine Bundesaufgabe, die nicht von Ländern oder Städten pauschal mitfinanziert werden dürfe, so Ludwig. Hintergrund des Verbots sei, dass sich ein reiches Bundesland wie Baden-Württemberg keine Infrastruktur erkaufen kann.

Neue Sachlage durch Kostensteigerung?

Verhandelt wird vor der 7. Kammer des Verwaltungsgerichts, die im Juli 2009 bereits schon einmal über das Bürgerbegehren entschieden hat, mit dem der Ausstieg der Stadt aus dem Projekt erreicht werden sollte, und die Klage dabei abgewiesen hat. In dem auf die Kündigung der Projektverträge gerichteten Bürgerbegehren berufen sich die Kläger nun auf eine wesentlich neue Sachlage, weshalb auch bereits verstrichene Fristen nicht relevant seien, so Bernhard Ludwig. Unter anderem sei das Projekt mit einem Volumen von knapp sechs Milliarden Euro wesentlich teurer als im Finanzierungsvertrag vereinbart, was für Stadt und Land mit weiteren Kosten verbunden sein könnte. Dabei sei schon die vereinbarte Beteiligung an dem Projekt verfassungswidrig.

Diese Ansicht vertritt auch der Staatsrechtler Joachim Wieland von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer, der auch an der Volksabstimmung über Stuttgart 21 mitgewirkt hat. Im Online-Rechtsmagazin „Legal Tribune“ schreibt der Professor für Öffentliches Recht, Finanzen und Steuerrecht in einem Beitrag über die Mehrkosten von Stuttgart 21, dass „der Bund und sein Unternehmen die Deutsche Bahn den Bau der Schnellstrecke und des Tiefbahnhofs finanzieren“ müsse. Stadt und Land würden dagegen nicht in der Pflicht stehen. Laut Grundgesetz trage der die Kosten, der die Aufgabe übernehmen muss, und das sei im Falle von S 21 der Bund. Dieses Prinzip solle sicherstellen, dass Schienen dort gebaut werden, wo Verkehrsbedürfnisse am dringendsten sind – und nicht dort, wo ein reiches Land die höchsten Zuschüsse verspricht.

Gutachten im Auftrag der Grünen stützt die Kritiker

Sollte das Gericht bei der Verhandlung der Klage feststellen, dass bei den Finanzierungszusagen zu Stuttgart 21 gegen das Verbot der Mischfinanzierung verstoßen wurde, was zu erwarten sei, würde der Finanzierungsvertrag für nichtig erklärt werden, so Wieland. Dann könnten Stadt und Land sogar die bereits gezahlten Millionenbeträge aus einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zurückverlangen.

Diesen Rat hatte im November 2010 bereits der frühere Präsident der Humboldt-Universität, Professor Hans Meyer, der Landesregierung erteilt. Der Finanzverfassungsrechtler hatte im Auftrag der Grünen-Fraktion ein Gutachten erstellt, in dem er zum Ergebnis kommt, dass die Finanzierungsverträge verfassungswidrig sind. Die Beteiligung der Landes, mit deren Hilfe der Baubeginn der Neubaustrecke um einige Jahre vorgezogen wurde, seien ein „groben Verstoß gegen die Verfassung“ so das Urteil.

Der damalige Fraktionschef der Grünen, der heutige Ministerpräsident Winfried Kretschmann, hatte nach Vorstellung dieses Gutachtens eine parlamentarische Initiative angekündigt und erklärt: „Spätestens wenn wir regieren sollten, werden wir die Zahlungen einstellen und das bereits bezahlte Geld zurückfordern.“ Später hieß es dann, dass die „Frage einer rechtlichen Klärung durch den Koalitionsvertrag politisch obsolet“ sei. Ergebnis der Verhandlung sei gewesen, die Neubaustrecke nicht mehr streitig zu stellen. Eine aktuelle Anfrage an das Staatsministerium, wie die Rechtmäßigkeit der Mischfinanzierung heute eingeschätzt wird, blieb bisher unbeantwortet.