Die Stadt Stuttgart hat die Bürgerbegehren gegen den Tiefbahnhof nun offiziell abgelehnt. Eine klärende Veranstaltung, also eine Art Faktencheck, könnte es dennoch geben.

Stuttgart - Die Stadt hat den Initiatoren der Bürgerbegehren 3 und 4 gegen Stuttgart 21 einen ablehnenden Bescheid zugeschickt. Dennoch streben einige Fraktionen im Gemeinderat einen neuen Faktencheck an, um Antworten von der Bahn zu bekommen.

 

Die Stadträte haben die Ablehnung der Bürgerbegehren, die mit der Kostenexplosion und mit einem Leistungsrückbau begründet werden, bereits Anfang Juli nach turbulenter Debatte mehrheitlich beschlossen. Stadtrat Hannes Rockenbauch (SÖS-Linke-Plus) war damals mit OB Fritz Kuhn aneinander geraten. CDU-Chef Alexander Kotz wollte den Vertrauensleuten und Initiatoren kein Rederecht gewähren, da diese für „ein rechtswidriges Ziel werben“. Jochen Stopper (Grüne) sah sich aufgefordert, bei der Sitzung zu sagen: Wer ein Bürgerbegehren initiiere, sei deswegen kein Verbrecher.

Im Herbst sollen die Erkenntnisse auf den Tisch

Die zuvor in den Ausschüssen geführte Debatte zur Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs war kontroverser als es das klare Abstimmungsergebnis vermuten lässt. Es wurden durchaus Zweifel an der Leistungsfähigkeit geäußert, auch von Befürwortern. Jedenfalls signalisierten einige Fraktionen damals ihre Zustimmung zu einem Faktencheck. Im Herbst, so stellen sich das jetzt Grüne und SPD vor, könnten die Kritiker ihre gesammelten Erkenntnisse auf den Tisch legen – und die Bahn zu konkreten Antworten veranlassen.

Ein Sprecher des Bahnprojekts hat auf StZ-Anfrage mitgeteilt, man sei „grundsätzlich bereit für Gespräche“. Es habe sich aber noch niemand gemeldet. Zuvor sind noch einige Fragen zu klären. So würden die Kritiker um Christoph Engelhardt von der S-21-kritischen Internetplattform Wikireal gerne die Projektgegner von SÖS-Linke-Plus dabei haben. Zudem wollen sie einen unabhängigen professionellen Moderator, der Erfahrung im Umgang mit Gruppen mitbringe. Fürs Honorar werde man notfalls sammeln. Der SPD-Chef Martin Körner aber möchte auf keinen Fall eine Fortsetzung der Schlichtungssitzungen mit anschließendem zweitem Stresstest, stattdessen will er über die Zukunft des Nahverkehrs, aber eben mit S 21, reden.

Ein Mahnschreiben ist nicht berücksichtigt worden

Zunächst werden die Vertrauensleute gegen das Urteil der Stadt Beschwerde beim Regierungspräsidium einlegen – und im Falle einer Ablehnung die Gerichte anrufen. Sie führen unter anderem an, dass ein Mahnschreiben des Vertrauensmannes Joris Schöller an den OB unberücksichtigt geblieben sei. Er hatte eine 35-seitige Stellungnahme von Christoph Engelhardt beigefügt, in der das dem Gemeinderatsbeschluss zu Grunde liegende Gutachten des Rechtsanwalts Christian Kirchberg inhaltlich kritisiert wird. Es bestehe der begründete Verdacht, die Entscheidung des Gemeinderats zum Bürgerbegehren könnte auf unrichtigen und unvollständigen Angaben beruhen, schrieb Schöller.

Der Gutachter Kirchberg hatte vorgetragen, es fehlten im Antrag konkrete Anhaltspunkte für eine zu geringe Leistungsfähigkeit von S 21, eine einseitige Kündigung des Finanzierungsvertrags durch die Stadt sei ohnehin nicht möglich. Für Kirchberg, der sich vor allem auf Gerichtsurteile zu S 21 sowie auf Aussagen der Bahn bezog und sie allesamt gegen die Antragssteller auslegte, sind die Argumente der Gegner „unsubstantiiert, inhaltlich und zeitlich vollkommen unbestimmt und damit letztlich spekulativ“. Das Bürgerbegehren ist für ihn „ ein Schlag auf den Busch“.

Engelhardt: alle Behauptungen entkräftet

Die Gegenseite erhebt ebenfalls schwere Vorwürfe: Das Gutachten sei „in sämtlichen Argumentationspfaden grob unrichtig“, sagt Engelhardt. Er habe Kirchbergs „Beweisring komplett abgeklappert“ und alle Behauptungen entkräftet. Er habe ja den besten Zeugen auf seiner Seite – die Bahn, mit deren Unterlagen er argumentiere. Er bezeichnet das Papier, auf das sich die Stadträte mangels eigener Fachkompetenz bei ihrem ablehnenden Beschluss stützten, als „ein in hohem Maße manipuliertes Auftragsgutachten“. Womöglich habe der Gutachter die von ihm zitierten Texte gar nicht gelesen. Das Gutachten sei „in einem Ausmaß fehlerhaft“, dass Kirchberg keine Rechnung stellen dürfte, schrieb Joris Schöller an Fritz Kuhn.

Eine sachliche Klärung der offenen Fragen tut aus Sicht von SPD, Grünen, AfD sowie SÖS-Linke-Plus schon deshalb not, weil Engelhardt die Furcht nährt, der mindestens sieben Milliarden Euro teure Bahnhof könnte unterdimensioniert sein; und zwar nicht nur hinsichtlich der Schienenkapazität, sondern auch die Fläche betreffend, auf der sich die Fahrgäste bewegen. Die im Bürgerbegehren unterstellte Unterdimensionierung habe der Gutachter völlig unter den Tisch fallen lassen, kritisiert Engelhardt. Nach seiner Auffassung bestätigten selbst konservativste Abschätzungen, dass der Tiefbahnhof weniger Zugankünfte leiste als der Kopfbahnhof. Vertraglich vereinbart sei aber eine Verbesserung. Die Kritiker fragen sich schon lange, ob in Stuttgart der Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen werde, da selbst zwei der geistigen Urheber von S 21, die Professoren Heimerl und Schwanhäußer, sich schon in den 90-er Jahren schriftlich zur Leistungsfähigkeit dergestalt geäußert hätten (im Planfeststellungsbeschluss 2005 und dem Gerichtsurteil dazu dokumentiert), dass die neue Station nur 32 Züge pro Stunde meistere, aber der Kopfbahnhof heute laut Fahrplan 38 Züge.

Auch diese Kritik zielt auf den Gutachter Kirchberg. Er zitiere in seiner Expertise die vom Verwaltungsgerichtshof bestätigte niedrige Kapazität, „will aber nicht erkennen, dass 32 weniger sei als 38“, wundern sich die Kritiker. Den Stresstest, bei dem die Bahn 49 Züge in der Spitzenstunde nachgewiesen haben will, nehmen die Kritiker bekanntlich nicht ernst – unter anderem, weil in der Simulation zwei Züge das Gleis schon verlassen hätten, bevor sie sich in Bewegung gesetzt hätten. Beim Faktencheck hätte die Bahn unter anderem die Aufgaben, dieses Phänomen zu erläutern.