Das Gericht bietet Stuttgart-21-Gegnern an, Verfahren wegen schweren Landfriedensbruchs einzustellen. Die Beschuldigten hatten nach einer Montagsdemo im Juni 2011 die Baustelle des Grundwassermanagements betreten.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Dieser Tage haben Stuttgart-21-Gegner überraschende Post vom Stuttgarter Amtsgericht bekommen. Das Schreiben ging an einen Teil der knapp 50 Personen, denen Landfriedensbruch vorgeworfen wird, weil sie am 20. Juni 2011 das Baustellengelände für die Grundwassermanagementanlage im Schlossgarten betreten hatten. Vom Amtsgericht bekommen sie angeboten, das Verfahren könnte „wegen Geringfügigkeit“ eingestellt werden, die Betroffenen müssten eine Geldauflage für einen guten Zweck zahlen. Richterin Monika Rudolph bestätigt, dass die Schreiben vom Gericht verschickt wurden.

 

Mindeststrafe für schweren Landfriedensbruch: sechs Monate

Für besonders schweren Landfriedensbruch, den die Staatsanwaltschaft einigen der Beschuldigten vorwirft, sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten vor, für Landfriedensbruch ohne die besondere Schwere sind es Geldstrafen ab 120 Tagessätzen. „Das ist doch ein Gezocke und Gepokere“, schimpft einer der Betroffenen über das Angebot. Er sei an jenem Abend, als eine kleine Gruppe den Bauzaun umgerissen hatte und danach mehrere Hundert Personen auf das Gelände geströmt waren, auch auf die Baustelle des Grundwassermanagements gegangen. Später habe ihn die Polizei als Zeugen vernommen, weil er einen Teil der Schlägerei zwischen Demonstranten und einem Polizisten gesehen hatte. „Ich bin unschuldig, ich bin nur herumgelaufen und habe nichts kaputt gemacht. Aber ich wurde vom Zeugen zum Täter gemacht“, sagt der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Nach der Aussage bei der Polizei habe er die Anzeige wegen Landfriedensbruchs bekommen. „Erst bin ich ein Verbrecher und nun ist es geringfügig, da geht doch alles durcheinander“, sagt er.

Landgerichtsverfahren: über Revision ist noch nicht entschieden

Es gibt aber auch andere Stimmen. Zum Beispiel die der Rechtsanwältin Ursula Röder, die mehrere der knapp 50 Beschuldigten vertritt. Das Schreiben, das aus dem Amtsgericht kommt, lasse etwas über einen neuen Stil in der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft Stuttgart ahnen, meint die Juristin. Deren Leiter Bernhard Häußler ging im Sommer vorzeitig in den Ruhestand. Er galt als ein Hardliner gegen Stuttgart-21-Gegner. Über Beweggründe der Behörden, die diese Theorie unterstützen würden, ist bisher weder vom Gericht noch von der Staatsanwaltschaft etwas zu hören.

Es gibt noch einen Fakt, der bei der Beurteilung des Angebots eine Rolle spielen könnte. Im Frühjahr wurde am Landgericht gegen fünf Personen verhandelt, denen ein Angriff auf einen Zivilpolizisten zur Last gelegt worden war. Nur beim Haupttäter blieb am Ende im Urteil der Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs übrig. Die Richterin Cornelie Eßlinger-Graf argumentierte in ihrer Urteilsbegründung, dass das reine Betreten des Geländes kein Landfriedensbruch sei. Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Revision ein. Über diese ist noch nicht entschieden.