Bundesverkehrsminister Ramsauer und Ministerpräsident Kretschmann müssen sich binnen einer Woche einigen, wie es bei S 21 weitergeht. 

Stuttgart - Beim umstrittenen Bahnprojekt Stuttgart 21 sind die Fronten zwischen Bahn, Stadt und Region auf der einen Seite und der neuen grün-roten Landesregierung auf der anderen Seite weiter verhärtet. Ein Spitzentreffen zwischen Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) soll nun binnen einer Woche klären, ob ein Bau- und Vergabestopp bis zum Ergebnis der für Oktober geplanten Volksabstimmung möglich ist und wer dann für die von der Bahn reklamierten Mehrkosten für den Zeitverzug aufkommt.

 

Auf einer Pressekonferenz nach der ersten Sitzung des in neuer Zusammensetzung tagenden S-21-Lenkungskreises bezifferte Bahn-Technikvorstand Volker Kefer die Verzugskosten für das auf maximal 4,5Milliarden Euro taxierte Projekt bei einem verlängerten Baustopp bis zum Herbst auf 410 Millionen Euro. Zudem werde sich die Fertigstellung des Gesamtprojekts Stuttgart 21 inklusive der geplanten Neubaustrecke Wendlingen–Ulm um 36 Monate und damit bis Ende 2022 verzögern, so das DB-Vorstandsmitglied. Dies hänge unter anderem mit den auslaufenden Angebotsbindungen aus den Ausschreibungen, mit der Wahrung von Fristen für eine neue Bau- und Betriebsplanung und mit möglichen Regressforderungen von Baufirmen zusammen.

Angesichts dieser Kalkulation sei die Bahn nicht mehr allein handlungsfähig – der Eigentümer Bund müsse im Gespräch mit dem Land die Frage eines weiteren Bau- und Vergabestopps klären. Der neue Landesverkehrsminister Winfried Hermann zeigte sich verwundert über die Zahlen der Bahn und sagte, man werde diese Angaben innerhalb von vier Wochen sehr genau prüfen. Zugleich mahnte er insgesamt mehr Transparenz bei den Informationen der Bahn hinsichtlich der Projektrisiken an: „Das ist verbesserungsbedürftig.“ Aus einer Tischvorlage für den Lenkungskreis geht zudem hervor, dass Hermanns Ministerium bemängelt, dass der Schienenkonzern mit dem aktuellen Projekt- und Risikobericht noch immer hinter dem Berg halte. Hermann kritisierte weiter, die Bahn gehe „einseitig“ davon aus, dass der von ihr durchgeführte Stresstest das gewünschte Ergebnis liefern werde. Man lasse sich von der Bahn auch nicht unter Zeitdruck setzen.

Grube: Spätestens nächsten Montag werden die Arbeiten fortgesetzt

Demgegenüber betone Kefer, falls das Spitzengespräch zwischen Kretschmann und Ramsauer keine neue Faktenlage ergebe, werde die Bahn nach Ablauf der Woche die seit dem 27. März unterbrochenen Bauarbeiten rund um den Bahnhof wiederaufnehmen. Kefer nannte als Beispiele die Verlegung von Rohrleitungen für das Grundwassermanagement. Die Bahn sei an Verträge gebunden und werde dann den Auftrag für den Bau des Fildertunnels zum Flughafen vergeben. Bahn-Chef Rüdiger Grube, der nicht an der Pressekonferenz teilgenommen hatte, wurde in einem Radiointerview noch deutlicher: „Spätestens nächsten Montag werden die Arbeiten fortgesetzt. Stuttgart 21 wird gebaut.“

Immerhin waren sich beide Seiten in einem Punkt einig: die Ergebnisse des Stresstests, mit dem die Bahn laut dem Schlichterspruch von Heiner Geißler eine 30-prozentige Leistungssteigerung des neuen Tiefbahnhofs gegenüber dem bestehenden Kopfbahnhof nachweisen muss, sollen Mitte Juli auf einer öffentlichen Veranstaltung präsentiert und diskutiert werden.

Nachdem Hermann als Ort dafür das schweizerische Konsulat ins Gespräch gebracht hatte, bot Stuttgarts OB Wolfgang Schuster (CDU) erneut das Rathaus der Landeshauptstadt für die „Stressschlichtung“ an. Der Hausherr sagte, eine Verzögerung der Bauarbeiten um drei Jahre wäre „bitter“, weil sie Arbeitsplätze kosten und die verkehrlichen Verbesserungen hinausschieben würde. Regionaldirektorin Jeanette Wopperer (CDU) hob einmal mehr die Bedeutung von Stuttgart21 für den Regional- und Nahverkehr hervor. Sie befürchte, dass die Region bei einem Scheitern des Projekts „abgehängt“ werde.

Aus der Landes-CDU gab es Kritik an der Haltung der Landesregierung. Der Generalsekretär Thomas Strobl sagte, die Vorstellung sei absurd, „dass Grün-Rot einen weiteren Baustopp will und andere dafür bezahlen müssen“. Fraktionschef Peter Hauk sprach von „grün-roten Taktikspielchen“, auf die sich der Bund nicht einlassen dürfe. Die Fraktionschefin der Grünen, Edith Sitzmann, erklärte hingegen, wenn die Bahn von baustoppbedingten Mehrkosten von 410 Millionen Euro rede, müsse sie diese Rechnung auch öffentlich belegen.

Ähnlich argumentierte bei der 77. Montagsdemo der Projektgegner auch die BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender. Angesichts der ungeklärten Fragen bei Stuttgart 21 sowie noch ausstehender Genehmigungen habe man keine Eile. Die Ankündigung der Bahn, am Montag weiterzubauen, sei „eine Kampfansage an die Demokratie“ und an die Stuttgarter Bürger.