Die Landesregierung erwartet, dass die Deutsche Bahn die genannten Kosten für Stuttgart 21 belegt - und die zeitlichen Verzögerungen.

Stuttgart - Im Streit um die Verlängerung und Finanzierung des Baustopps bei Stuttgart 21 bis zur Präsentation des Stresstestergebnisses Mitte Juli oder einem möglichen Volksentscheid im Oktober soll am Freitag bei einer außerordentlichen Sitzung des Lenkungskreises eine Entscheidung fallen. Bis dahin erwartet die Landesregierung aber, dass die Bahn die von ihr genannten Kosten und zeitlichen Verzögerungen belegt. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass sich die Bahn bis zur Landtagswahl beim Bauen freiwillig zurückgehalten habe: "Man könnte auch sagen, sie hat für den ehemaligen Ministerpräsidenten Mappus den Bau unterbrochen - und zwar kostenlos." Bei der Montagsdemonstration sagte Axel Wieland vom Aktionsbündnis, die Bahn sei für alle Probleme verantwortlich und müsse deshalb auch die Folgen des Baustopps alleine tragen. Er forderte, das Aktionsbündnis am Stresstest zu beteiligen.

 

Bahnchef Grube hat einen Baustopp bis zur voraussichtlichen Fertigstellung des Stresstests am 15. Juli in Aussicht gestellt, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, dass er an die Stadt Stuttgart 33 Millionen Euro für die verzögerte Überlassung alter Bahnflächen zahlten müsste, weil Stuttgart 21 dann "nicht Ende 2019, sondern Ende 2020 in Betrieb gehen würde". Er fordert, dass ihm die Strafzahlung erlassen werde. Dies lehnen der Gemeinderat und OB Schuster ab.

Die Rechnung geht nicht auf

Für 2020 will der Gemeinderat allerdings gar keine Verzugszinsen. Das ist im 2007 geänderten Kaufvertrag so festgelegt worden, weil sich der Baubeginn verzögert hatte. Dass damals vorsorglich ein zeitlicher Puffer für einen Baustopp einkalkuliert worden sei, daran mag der städtische Pressesprecher Markus Vogt nicht glauben. Es sei wohl eher so, dass die Zeitspanne zwischen der Inbetriebnahme des Bahnhofs und der Übergabe der geräumten Grundstücke zwölf Monate betrüge. Die Rechnung geht allerdings auch in diesem Fall nach Ansicht von Bauexperten nicht auf: Sie sagen, die Räumung des Bahngeländes dauere mehrere Jahre.

Die Angelegenheit soll am Freitag ebenso geklärt werden wie die Berechnungsgrundlage der Kosten des Baustopps von 33 Millionen Euro für ein Jahr, die die Bahn bisher nicht schlüssig erklären kann. Vereinbart sind 21,2 Millionen Euro Strafzinsen jährlich, der Zinseszinseffekt ist ausgeschlossen. Vogt sagte auf Anfrage, der Stadtverwaltung sei die Kalkulation der Bahn nicht bekannt. Um die Aussage Grubes bewerten zu können, brauche man genauere Informationen.

Zeitverzug wird von der Landesregierung hinterfragt

Auch der angebliche Zeitverzug von drei Jahren, falls der Bau-und Vergabestopp bis Oktober anhielte, wird von der Landesregierung hinterfragt. Acht Monate hat die Bahn jetzt allein für die Überarbeitung der Ausschreibungsunterlagen für die Tunnels veranschlagt. Nachdem die Bahn das Verfahren für den Neubau des Nesenbachabwasserkanals gestoppt hatte, dauerte es allerdings nur wenige Wochen bis zur neuerlichen Ausschreibung des Düker-Auftrags.

Auch der Hinweis auf weitere fünf Monate Verzug, weil eine Inbetriebnahme nur zum Fahrplanwechsel im Dezember möglich sei, ist erklärungsbedürftig. Die Bahn behauptet, beim Projekt Stuttgart-Ulm, "dessen Inbetriebnahme sehr gravierende Auswirkungen auf den Fahrplan des Nahverkehrs und der internationalen Verbindungen im Fernverkehr (Frankreich/Schweiz) zur Folge" habe, sei ein unterjähriger Fahrplanwechsel ausgeschlossen. Bahnvorstand Kefer hatte in der Schlichtung aber eine Zeitstufenliste mit "Probebetrieb" präsentiert. Dass es Ausnahmen von der Regel gibt, wie etwa die vorläufige Inbetriebnahme der Neubaustrecke Nürnberg-Ingolstadt am 28.Mai 2006 zeigt, räumt die Bahn ein. Ein Sprecher sagte aber, "die Auswirkungen des halbjährigen Interimsbetriebs" seien gering gewesen. Gleiches gelte für den neuen Berliner Hauptbahnhof mit täglich 225 Fernverkehr- und 325 Nahverkehrszügen, der am selben Frühsommertag wie die Neubaustrecke in Betrieb genommen worden war. Dessen Auswirkungen auf den Fernverkehr seien überschaubar, weil dort - anders als in Stuttgart - die meisten Züge beginnen oder enden. Ein zweiter Grund für die Eile war der Beginn der Fußball-WM 2006 im eigenen Land.

Bahn muss ihre Pläne nacharbeiten

Unterdessen verschärft sich der Konflikt um das Grundwassermanagement beim Bau des Tiefbahnhofs. Die Bahn müsse ihre Pläne gehörig nacharbeiten, erklärte am Montag Umweltminister Franz Untersteller (Grüne). Der neue Antrag der Bahn, doppelt so viel der ursprünglich beantragten drei Milliarden Liter Grundwasser abpumpen zu dürfen, sei so nicht zu prüfen und zu bewerten. "Die Unterlagen sind unvollständig, unzureichend und in Teilen nicht aussagekräftig." In Absprache mit dem städtischen Umweltamt nimmt Untersteller ab sofort die Fachaufsicht wahr. Sein Ministerium prüft den Antrag, den die Bahn beim Eisenbahnbundesamt gestellt hat.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart begrüßt dagegen Grubes Vorschlag, dass die Kosten für den Baustopp von allen Projektpartnern getragen werden sollen. "Wir haben die Erwartung, dass auch die Landesregierung ihren finanziellen Beitrag zur Befriedung der Situation leistet und zugleich der Stresstest beschleunigt abgeschlossen wird", so IHK-Präsident Herbert Müller.