Kretschmann will das Quorum bei der Volksabstimmung respektieren, versucht aber Stuttgart 21 über die Kostenfrage doch noch zu verhindern.  

Stuttgart - Die grün-rote Landesregierung erhofft sich von der Volksabstimmung über Stuttgart 21 eine befriedende Wirkung. Das haben Repräsentanten der Koalition oft bekundet, allen voran Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Und doch wird sich nach Auffassung des Regierungschefs am 27. November womöglich nicht entscheiden, ob der Tiefbahnhof gebaut wird oder nicht. Die Volksabstimmung sei das eine, sagte Kretschmann am Dienstag, die Kostenfrage aber stelle einen ganz anderen Sachverhalt dar. "Ich kann das Projekt nicht anfahren, ohne zu wissen, was passiert, wenn die Kosten aus dem Ruder laufen." Der Puffer in der Kostenkalkulation schmelze "wie der Schnee in der Frühlingssonne". Nun müsse die Bahn erklären, ob sie eventuelle Mehrkosten auf die eigene Kappe nehme.

 

Der Kostendeckel für das Projekt liegt bei etwas mehr als 4,5 Milliarden Euro. Grüne und SPD sind sich, so unterschiedlich sie das Projekt beurteilen, zumindest darüber einig, dass sie sich an keinen Kosten beteiligen, die über diesen Betrag hinausgehen. Sogar einen Kabinettsbeschluss haben sie dazu gefasst. Auch die Stadt Stuttgart und der Bund signalisierten, kein zusätzliches Geld zu geben. Bahn-Chef Rüdiger Grube versicherte indes mehrfach, ihm lägen keine Erkenntnisse vor, dass der Kostenrahmen nicht gehalten werden könne. Allerdings will die Bahn etwa 80 Millionen Euro aus dieser Rechnung herausnehmen und zwischen den Projektpartnern umverteilen. Begründung: diese Kosten seien Ergebnis der Schlichtung.

Kretschmann fürchtet eine stillliegende Baustelle

Kretschmann begründete sein Beharren auf einer Alleinhaftungserklärung der Bahn mit der "normativen Kraft des Faktischen", wenn erst einmal gebaut werde: "Wer will riskieren, dass er eine riesige Baustelle in der Stadt liegen lässt?" In diesem Fall werde der Druck groß sein, doch zusätzliches Geld bereitzustellen. "In eine solche Situation lasse ich mich sehenden Auges nicht bringen." Kretschmann sagte, er habe deshalb einen Brief an Bahn-Chef Grube geschrieben, in dem er auf eine erneute Sitzung des Lenkungsausschusses zu Stuttgart 21 dringt.

Die Bahn kann freilich auf den Finanzierungsvertrag verweisen, der für den Fall einer Kostenüberschreitung lapidar regelt, dass Gespräche aufzunehmen seien. Das klingt unklar, bedeutet aber nach Auffassung des Berliner Verwaltungs- und Finanzrechtlers Hans Meyer nichts anderes, als dass Bahn und Land "in Wirklichkeit zur Nachfinanzierung verpflichtet" sind, falls die 4,5 Milliarden Euro überschritten seien - womöglich entsprechend den jeweiligen Finanzierungsanteilen. Der Bund bleibe, da nicht Vertragspartner, außen vor. Der renommierte Jurist schreibt dies in seinem vor einem Jahr für die Grünen erstellten Gutachten über die Zulässigkeit einer Mischfinanzierung von Bund und Land im Zusammenhang mit Stuttgart 21.

Kretschmann äußerte sich auch zu den Ausstiegskosten für den Fall eines Projektabbruchs. Die sind zwischen Grünen und SPD umstritten. Die Sozialdemokraten gehen von 1,5 Milliarden Euro aus, Verkehrsminister Winfried Hermann von den Grünen sagt, das Land käme mit 350 Millionen Euro aus. Regierungschef Kretschmann schloss sich Hermanns Einschätzung an. "Ich halte das für plausibel, was der Verkehrsminister gesagt hat." Er wolle aber im Fall einer Kündigung der Finanzierungsverträge eine gerichtliche Auseinandersetzung vermeiden, sondern mit der Bahn über die Modernisierung des bestehenden Bahnhofs verhandeln.

Streit um Kosten einer Kündigung der Finanzierungsverträge

Koalition Die Landesregierung hat eine Informationsbroschüre zur Volksabstimmung aufgelegt, in welcher Befürworter und Gegner des Projekts jeweils zehn Gründe für ihre Sichtweise darlegen können. Gegen die Aussage von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), ein Ausstieg koste das Land weniger als 350 Millionen Euro, meldete das von Rainer Stickelberger (SPD) geführte Justizministerium Bedenken an. Eine derartige Angabe sei "äußerst zweifelhaft“. Im Ergebnis heißt es nun, der Betrag für den Ausstieg "dürfte“ bei weniger als 350 Millionen Euro liegen.

Einigung Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) sagte am Dienstag zu dem Streit lediglich: "So wie das jetzt in der Broschüre steht, ist das mit den Häusern abgestimmt.“