Wieder Probleme mit dem Bahnprojekt Stuttgart 21: In der Erörterung über das Grundwassermanagement ist ein guter Teil der Tagesordnung unter den Tisch gefallen. Deshalb denkt das Regierungspräsidium ernsthaft über eine Fortsetzung der Erörterung nach.

Stuttgart - Fünf Tage lang haben Gertrud Bühler und Michael Trippen mehr oder weniger souverän durch die Erörterungsverhandlung im Kongresszentrum der Landesmesse geführt. Am Ende ist es dann aber doch noch ein wenig turbulent zugegangen. Wohl mit Blick auf die Uhr und das nahende Fallbeil zum Ende der Erörterung, die ohnehin schon um einen Tag verlängert worden war, wollten etliche der versammelten Einwender am Freitagnachmittag unbedingt und teils lautstark noch ihre Anliegen vorbringen. Nicht wenige monierten dabei, vier Tage lang nicht zu Wort gekommen zu sein.

 

Tatsächlich ist in der Erörterung über das Grundwassermanagement von Stuttgart 21 ein guter Teil der Tagesordnung unter den Tisch gefallen, etwa die Themen Lärm, Erschütterungen und Verkehrsfragen. Deshalb will das Regierungspräsidium auf Antrag der Bürger und vertretenen Institutionen nun ernsthaft über eine Fortsetzung der Erörterung nachdenken, wie die zuständige Abteilungspräsidentin Gertrud Bühler kurz vor Schluss nach einer Beratungspause mitteilte. Sie denke, dass in der Woche vieles intensiv angesprochen und behandelt wurde, wo etwa die unterschiedlichen Standpunkte liegen. „Ich glaube schon“, betonte sie, „dass wir ein Stück weiter gekommen sind.“ Nun sei es zunächst wichtig, die erarbeiteten Inhalte aufzuarbeiten, um entscheiden zu können, welche Aspekte vielleicht noch eine Rolle spielen und wie es weitergeht, so Bühler: „Dafür benötigen wir etwas Zeit.“

Die Bahn als Bauherrin von Stuttgart 21 ist indes noch vor Ort zu einer Entscheidung gekommen. Sie hält eine Fortsetzung des Erörterungstermins für nicht notwendig. Einerseits sei es zwar so, dass Entscheidungen nur auf Basis ausreichend erörterter Themen getroffen werden sollten, so der Rechtsanwalt Josef-Walter Kirchberg. Es sei anderseits aber genug Zeit gewesen, um alle relevanten Sachverhalte zu den Einwendungen zu diskutieren. Zudem sei das Regierungspräsidium verpflichtet, das Verfahren drei Monate nach Ende der Einwendungsfrist abzuschließen, so Kirchberg. Diese Frist sei bereits Ende Oktober 2012 abgelaufen. Daher sehe die Bahn keine gesetzlich gerechtfertigte Möglichkeit, die Erörterungszeit auszuweiten. Die Beiträge der Bahn und die Äußerungen der Fachleute der Behörden hätten bestätigt, erklärte zudem der Stuttgart-21-Sprecher Wolfgang Dietrich, „dass den Anträgen der Bahn eine gründliche und fachlich überzeugende Planung vorausging“.

An Durchhaltevermögen mangelt es den 300 Zuhörern nicht

Wohl nicht jeder im Saal, so ist zu vermuten, hat dabei die Ausführungen der Geotechniker, Physiker und Hydrogeologen in Gänze verstanden. An Durchhaltevermögen hat es den Hausbesitzern, Umweltaktivisten, Stuttgart-21-Gegnern, sonstigen Einwendern und grundwasserinteressierten Bürgern aber dennoch nicht gemangelt: Fünf Tage lang haben die bis zu 300 Zuhörer von morgens um 9 Uhr bis teilweise in die späten Abendstunden hinein die Diskussionen über diverse Fachthemen verfolgt, den meist wortgewaltigen Schlagabtausch der Experten über die Prognosefähigkeit von instationären Modellen, über Quellschüttungswerte, Kalibrierungsparameter, Iterationsprozesse, Sensitivitätsanalysen oder interpolierte Grundwasserneubildungsberechnungen.

Am Freitag ist zum Abschluss unter anderem über die Bäume im Schlossgarten diskutiert worden, deren Vitalität von der geplanten Absenkung des Grundwasserspiegels um teilweise bis zu 15 Meter betroffen sein könnte, so die in zahlreichen Einwendungen formulierte Befürchtung. Der Nürnberger Baumsachverständige Bodo Siegert, der im Auftrag der Bahn ein Gutachten über den betroffenen Baumbestand im Schlossgarten erstellt und eine Einschätzung dazu abgegeben hat, hält die Gefahr möglicher Auswirkungen für überschaubar. Allerdings müssten die Bäume dazu unter anderem mit einem Monitoringsystem, das an einigen Stellen bereits eingerichtet sei, überwacht werden, erklärte Siegert. Im untersuchten Einzugsgebiet im Mittleren Schlossgarten stehen laut Gutachten 448 Bäume, dazu kommen 48 Exemplare im oberen und 131 im unteren Teil des Parks. Bei den meisten der Bäume, etwa den alten Platanen, würden die Wurzeln maximal zwei Meter in den Boden reichen, also nicht bis in das tiefer liegende Grundwasser, so Siegert. Eine Absenkung des Grundwasserspiegels habe daher keine Auswirkung auf die Versorgung dieser Bäume. Kritisch zu sehen sei vielmehr das Problem der Staunässe im lehmigen Boden, die zum Verfaulen der Wurzeln führen könne, so der Fachmann. Das müsse bei der Infiltration beachtet werden. Bei Bedarf müssten Drainagen gelegt oder das Stauwasser abgepumpt werden.

Der Naturschutzverband BUND fordert hingegen ein „umfassendes Fachgutachten über die Böden im Schlossgarten“, wie Regionalgeschäftsführer Gerhard Pfeifer erklärte. Die Aussagen des Bahn-Gutachters seien punktuell und vielfach unzureichend, so fehle etwa die Beweissicherung aller Bäume im Wirkungsbereich. Auch der Wasserhaushalt des Bodens sei nicht untersucht worden, so Pfeifer. Das Grundwasser sei sehr wohl relevant für die Versorgung der Bäume, was auch ein Bodenkundler der Uni Hohenheim vermutet. Die Baumwurzeln, so seine Erfahrung aus Erkundungen, würden im Schlossgarten wesentlich tiefer als dargestellt reichen.

Ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig?

Ob die Bäume im Schlossgarten beim Bau des Tiefbahnhofs an Standfestigkeit verlieren könnten, wird wie viele andere Aspekte nun in die Bewertung des Regierungspräsidiums einfließen – zu den Knackpunkten im Verfahren gehören die Platanen und Kastanien nicht. Entscheidend für den weiteren Verlauf des Änderungsverfahrens sind andere Fragen, etwa, ob eine weitere Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig ist. Das Eisenbahnbundesamt hat das bereits verneint und folgt damit der Argumentation der Bahn, die auf die alte Untersuchung verweist. Der BUND, vertreten unter anderem durch den Anwalt Tobias Liebig, sieht das als formalen Fehler im Änderungsverfahren. Ohne Umweltprüfung sei der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig und anfechtbar, so Lieber, der für diese Einschätzung etliche nachvollziehbare Gründe anführen konnte.

Nachgehen wird das Regierungspräsidium Stuttgart in seinem Bericht an das Eisenbahnbundesamt als Genehmigungsbehörde wohl auch der Frage, was von dem Grundwasserströmungsmodell zu halten ist. Mit diesem Instrument sollen während der siebenjährigen Bauzeit mögliche Auswirkungen auf den Boden, die Heil- und Mineralquellen sowie die Geologie prognostiziert werden, die auftreten könnten, wenn 6,8 statt wie geplant rund drei Millionen Kubikmeter Grundwasser abgepumpt werden müssen. Sowohl an diesem Modell der Bahn, auf dem das gesamte Grundwassermanagement von Stuttgart 21 basiert, als auch an einem von Landesbehörden entwickelten Prüfmodell ist von Geologen und Physikern Kritik geübt worden.

Zunächst muss das Regierungspräsidium die Anträge auf Verlängerung des Verfahrens bewerten und entscheiden, ob die 10 000 Einwendungen inhaltlich abgebildet und behandelt werden konnten und auf dieser Basis eine Beurteilung des Sachverhalts möglich ist. Oder ob ein Teil jener Einwender, die auch wegen der nicht immer konstruktiven Beiträge nicht zu Wort gekommen sind, dazu noch eine Gelegenheit eingeräumt werden muss. Denkbar ist, weitere Fragen schriftlich zuzulassen und diese an einem zusätzlichen Tag zu erörtern. Mit einer Entscheidung, so Bühler sei bis Mitte nächster Woche zu rechnen.