Hat Ex-Regierungschef Mappus im heißen Stuttgart-21-Herbst 2010 der Polizei die Marschroute vorgegeben? Er sagt Nein, doch Regierungsakten von damals deuten auf etwas anderes hin. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft bekommt neues Futter.

Hat Ex-Regierungschef Mappus im heißen Stuttgart-21-Herbst 2010 der Polizei die Marschroute vorgegeben? Er sagt Nein, doch Regierungsakten von damals deuten auf etwas anderes hin. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft bekommt neues Futter.

 

Stuttgart - Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) gerät im Ermittlungsverfahren wegen Falschaussage zu Polizeieinsätzen gegen Stuttgart-21-Gegner immer stärker in Bedrängnis. Nach einem neuen Bericht der grün-roten Landesregierung für den Untersuchungsausschuss des Landtags hat Mappus zumindest auf einen Polizeieinsatz gegen Gegner des Milliarden-Bahnprojekts im Jahr 2010 politischen Einfluss genommen. Der Regierungsbericht, der sich auf Akten von den damals beteiligten Ministerien stützt, liegt der dpa vor.

Damit verdichten sich die Hinweise, dass Mappus bei seiner Aussage vor dem ersten U-Ausschuss zur Aufklärung der eskalierten Einsatzes zur Räumung des Stuttgarter Schlossgartens gelogen hat. Damals hatte er behauptet, nie Einfluss auf polizeiliche Einsatzfragen genommen zu haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit Anfang März wegen uneidlicher Falschaussage gegen den 48-Jährigen. Von dem Ex-Regierungschef war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.

Im Regierungsbericht heißt es, aus den Akten ergebe sich, dass Mappus den Einsatz vom 18. auf den 19. August 2010 quasi angeordnet habe. Dabei war ein Abrissbagger zum Hauptbahnhof gebracht worden. Aus Unterlagen des Innenressorts geht hervor, dass der damalige Stuttgarter Polizeipräsident Siegfried Stumpf die Weisung von Mappus aus Sorge um größere Proteste nicht hinnehmen wollte. Doch der bis dahin als besonnen geltende Polizeichef stieß mit seinem Protest auf taube Ohren.

Die Regierung erklärt zudem, dass es zwar keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass Mappus den harten Einsatz am 30. September zur Räumung des Schlossparks für die Baustelle des neuen Tiefbahnhofs unmittelbar beeinflusst habe. Jedoch erscheine der Einsatz angesichts der Vorgeschichte in einem neuen Licht. Bei den Ausschreitungen am 30. September waren nach offiziellen Angaben 130 Stuttgart-21-Gegner und 34 Polizisten verletzt worden.

Mittlerweile beschäftigt sich ein zweiter Ausschuss mit dem Einsatz. Das Gremium will mit Hilfe neuer Unterlagen klären, ob Mappus eine Mitschuld an der Eskalation trägt. Die Polizei hatte Wasserwerfer und Pfefferspray eingesetzt.

Kein direkter Hinweis in den Akten zur Einflußnahme am 30. September

Der Abriss des Nordflügels Ende August markierte die ersten sichtbaren Bauarbeiten für den Tiefbahnhof Stuttgart 21. Mappus soll laut bereits bekannter Notizen führender Polizeibeamter vorher auf Warnungen Stumpfs gesagt haben: „Bringen Sie den Bagger rein. Wenn Sie nicht wollen, hole ich eine Polizei aus einem anderen Land.“

Laut Akten des Polizeipräsidiums Stuttgart schrieb Stumpf am 18. August an Landespolizeipräsident Wolf-Dietrich Hammann: „Sie haben mir übermittelt, dass Herr Ministerpräsident Mappus entschieden hat, dass die Polizei (...) die Verlegung eines Baggers zum Abbruch des Nordflügels am Stuttgarter Hauptbahnhof in das Baustellenareal zu begleiten bzw. zu ermöglichen hat.“ Stumpf erhob sogar offiziell Einwände. In den Akten heißt es, Stumpf habe „remonstriert, musste den Einsatz trotzdem durchführen“.

Die Regierung bilanziert in dem Bericht: „Nimmt man all diese neuen Dokumente zusammen, spricht zumindest die Aktenlage dafür, dass auf einen früheren Polizeieinsatz - nämlich jenen vom 18. auf den 19. August - politisch Einfluss genommen wurde.“

Doch was heißt das für den Einsatz am sogenannten Schwarzen Donnerstag am 30. September? Zwar gibt es keine direkten Hinweise in den Akten. Doch nach Angaben leitender Polizeibeamter nach einer Führungstagung soll „die oberste politische Ebene“ auch hier rigide Vorgaben gemacht haben. Sogar die Anweisung zum Einsatz der Wasserwerfer soll aus der Politik gekommen sein. Diese seit einigen Wochen bekannten Angaben waren für die Staatsanwaltschaft jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen.

Mappus soll laut einer Notiz eines Mitarbeiters des Staatsministeriums beim Besuch der Einsatzkräfte am 20. September erklärt haben, er erwarte ein „offensives Vorgehen gegen Baumbesetzer“. Nach Akten des Polizeipräsidiums wollte Stumpf dem Regierungschef an diesem Tag folgendes sagen: „Was die Einsatzlinie des Polizeipräsidiums betrifft, werde ich ihm meine Vorstellung klar zum Ausdruck bringen. Sie hat ihm ja bisher nicht in jedem Einzelfall gefallen.“ Bei einer Besprechung im Staatsministerium am 28. September soll Mappus aber geäußert haben, dass „ein Abbruch nur im Notfall in Betracht“ komme.

Aus dem Bericht geht auch hervor, dass die Deutsche Bahn den Polizeieinsatz am Schwarzen Donnerstag für nicht zwingend notwendig hielt. In einem Vermerk des baden-württembergischen Staatsministeriums vom 27. September heißt es, dass er noch deutlich später erfolgen könnte. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und die „Südwest Presse“ (Dienstagausgaben) hatten zuerst aus dem Bericht der grün-roten Landesregierung für den U-Ausschuss des Landtags zitiert.

Der 48-jährige Mappus steht doppelt im Visier der Staatsanwaltschaft. In der Affäre um den milliardenschweren Einstieg des Landes beim Karlsruher Energieversorgers EnBW wird gegen ihn wegen Untreue ermittelt. Auch eine Falschaussage vor dem U-Ausschuss könnte weitreichende Folgen haben: Lügt jemand vor einem solchen Gremium, wird das genauso geahndet wie vor Gericht - mit Freiheitsstrafen von drei Monaten bis zu fünf Jahren.