Der Verein Haus und Grund protestiert gegen den Tunnelbau im Zusammenhang mit Stuttgart 21. Er hält das Verfahren, mit dem die Entschädigung für die Untertunnelung von Grundstücken berechnet wird, für falsch.

Stuttgart - Nachdem das Eisenbahnbundesamt jüngst zugestimmt hat, dass der zehn Kilometer lange Fildertunnel mit sogenannter Vortriebstechnik gebohrt werden darf, kann die riesige Maschine des Anlagenbauers Herrenknecht nun von Kehl, wo sie eingelagert werden musste, nach Stuttgart geliefert werden. Im Mai soll damit begonnen werden, sie im Bereich des Gewerbegebiets Fasanenhof zu montieren. In den Berg geht es laut Zeitplan der Bahn aber erst im nächsten Jahr. Schon wesentlich früher, nämlich von diesem Frühjahr an, soll mit dem Bau der Tunnelröhren zum Feuerbacher Bahnhof und nach Bad Cannstatt begonnen werden.

 

Begleitet wird der Stuttgarter Tunnelbau nach jetzigem Stand wohl von diversen juristischen Verfahren, die unter der Überschrift „Unterfahrung von Grundstücken und Entschädigungszahlungen“ geführt werden. Die Deutsche Bahn hat dazu von dem Freiburger Dienstleister und Immobilienbewerter DIA Consulting ein Bewertungsverfahren entwickeln lassen, das sich an zwei in der Praxis erprobten Modellen orientiert: dem sogenannten Münchner Verfahren, das für den Bau der U-Bahn in der bayrischen Landeshauptstadt angewendet wurde, und der Praxis des Frankfurter Gutachterausschusses, die auf Erfahrungen in etlichen Städten mit ähnlichen Tunnelbauten basiert.

Bahn berechnet nur den reinen Bodenwert

Berechnet wird die Höhe der Entschädigung in dem „Stuttgarter Gutachten“, in dem laut Bahn die spezielle topografische Situation der Landeshauptstadt berücksichtigt wurde, unter anderem nach der Tiefenlage des Tunnels und dem Umfang, in dem ein Grundstück bei der Unterfahrung in Anspruch genommen wird – was die betroffenen Grundstückseigentümer aber nicht für angemessen halten. Der Stuttgarter Haus- und Grundbesitzerverein mit seinen 19 000 Mitgliedern bewertet dabei vor allem zwei Berechnungspunkte als falsch, wie der Geschäftsführer Ulrich Wecker erklärt. Zum einen lege die Bahn nur den reinen Bodenwert ohne Bebauung zu Grunde. „Das ist aus Sicht unserer Juristen sachwidrig“, sagt Wecker, der selber Rechtsanwalt ist. „Bei der Berechnung der Entschädigung muss der Grundstückswert mit Bebauung angesetzt werden.“

Gleichzeitig soll laut Gutachten nur für jenen Anteil des Grundstücks eine prozentuale Entschädigung gezahlt werden, der beim Tunnelbau tatsächlich in Anspruch genommen wird. Auch in diesem Punkt entspricht das Gutachten laut Haus und Grund „keiner wissenschaftlich abgesicherten methodischen Herangehensweise“. Die Unterfahrung werde im Grundbuch eingetragen und gelte für das gesamte Grundstück, das daher komplett bewertet werden müsse. Das Grundstück könne auch nur als ganzes verkauft werden. Grundsätzlich sei das Gutachten durchaus ein ernsthafter Versuch, ansatzweise eine sachliche Rasterung zu finden. Bleibe die Bahn bei der Bewertung, müssten bei der Berechnung der Entschädigung aber die Gerichte entscheiden, so Wecker.

Knapp 500 Grundstückseigentümer sind betroffen

Betroffen sind allein in Stuttgart knapp 500 Grundstückseigentümer mit zusammen etwa 1500 Flurstücken. Die beiden Tunnelröhren zwischen dem neuen Tiefbahnhof und Feuerbach verlaufen beispielsweise unter der Birkenwaldstraße, der Oskar-Schlemmer-Straße und dem neuen Augustinum am Killesberg, das in etwa 50 Metern Tiefe unterquert wird.

Beim Bau des Fildertunnels wird neben der Gänsheidestraße, der Gerokstraße und der Pischekstraße unter anderem auch das Kernerviertel untergraben, was die Anwohner dort seit geraumer Zeit beunruhigt. Das Gutachten sei keine akzeptable Grundlage zur Ermittlung der Entschädigungszahlung sagt Frank Schweizer, der in der Kernerstraße wohnt und Sprecher der dortigen Initiative ist. Die reale Wertminderung und der Vermögensverlust der Unterfahrung sei nicht berücksichtigt. Vor allem aber enthalte das Gutachten keine Regelung für mögliche Schäden durch Setzungen oder Hangrutschen. Gefährdet sehen die Anwohner vor allem die bis zu zehn Meter tiefen Stützmauern des terrassierten Viertels. „Wir fordern seit Jahren eine Risikoabschätzung, es passiert aber nichts“, sagt Schweizer.

Klagen haben keine aufschiebende Wirkung

Die ersten Anschreiben wegen der Entschädigungszahlungen und der Eintragung der Unterfahrungsrechte ins Grundbuch werden laut einem Bahnsprecher inzwischen von der beauftragten LBBW-Tochter Landsiedlung verschickt. „Wir raten dazu, nicht leichtfertig zu unterschreiben“, sagt Haus-und-Grund-Geschäftsführer Ulrich Wecker. Die Bahn will ihrerseits erst dann einzeln auf die betroffenen Eigentümer zugehen, wenn die Tunnelarbeiten konkret anstehen. Zu laufenden Verfahren könne man keine Auskünfte erteilen, so der Sprecher. Klagen gegen mögliche Entschädigungsangebote hätten aber keinerlei aufschiebende Wirkung auf den Bauverlauf.