Der Protest der Stuttgart-21-Gegner in Leinfelden-Echterdingen ist abgeebbt, aber nicht eingeschlafen. Jetzt findet der 250. Schwabenstreich in Leinfelden statt.

Leinfelden-Echterdingen - Nein, wie viele Stunden sie mit Aktionen zur Abwehr von Fernverkehrszügen auf der S-Bahn-Strecke durch Leinfelden-Echterdingen zugebracht hat, „habe ich nie nachgerechnet“, sagt Claudia Moosmann. Die 59-Jährige gilt als Mutter des Stuttgart-21-Protests in der Großen Kreisstadt. Aber eben nicht nur als Mutter, sondern auch als Motor. Die Maschine läuft allerdings längst nicht mehr so hochtourig wie im ereignisreichen Herbst vor fünf Jahren, als Protestaktionen gegen das Bahnprojekt Stuttgart – Ulm ihren Höhepunkt erreicht hatten.

 

Damals hatte Moosmann als Sprecherin des Vereins Lebenswertes L.-E. einen Ableger des Stuttgarter Schwabenstreichs auf den Neuen Markt nach Leinfelden verpflanzt. Seitdem wird auch auf den Fildern nicht nur in der Vereinskolumne im städtischen Amtsblatt, sondern auch in aller Öffentlichkeit gegen das umstrittene Projekt gewettert; an diesem Donnerstag zum bereits 250. Mal. Dem obligatorischen Ritual folgend, wird es um 19 Uhr laut, werden eine Minute lang schrille Töne aus Trillerpfeifen über den ansonsten eher ruhigen Platz gellen.

„Jetzt kommen auch keine Grünen mehr“

Eine ganze Weile lief die Protestaktion in Leinfelden mit großem Publikumszuspruch und Auftritten wortgewaltiger Kritiker wie beispielsweise dem Schauspieler Walter Sittler. Inzwischen liegen 249 Schwabenstreiche hinter Claudia Moosmann. Und es ist unübersehbar, dass mit der zwischenzeitlich zurückgefahrenen Öffentlichkeitsarbeit auch das Interesse der Bürger stark nachgelassen hat. „Zuerst sind die SPD-Mitglieder weggeblieben, jetzt kommen auch keine Grünen mehr“, beschreibt die Aktivistin die Lage, ohne dabei resigniert zu klingen. Zu den letzten Standfesten, einem guten Dutzend, das regelmäßig in Reden die Unbeweglichkeit der Planer und die daraus resultierenden Nachteile für Leinfelden-Echterdingen beklagt, zählt Moosmann „freie Bürger“. Mit Parteipolitik habe der Schwabenstreich „nichts mehr zu tun“.

Politisch ist Moosmann über diese Donnerstagskonstante hinaus permanent aktiv. Für die Filderpiraten sitzt sie seit dem vergangenen Sommer als Einzelstadträtin mit am Ratstisch in L.-E., auf der Liste der Linken hatte sie für den Kreistag kandidiert – was zwangsläufig nach 36 Jahren Mitgliedschaft die Trennung von der SPD nach sich zog. Eine Partei, die sie offenbar zutiefst enttäuscht hat: „Betreuungsgeld, Hartz IV, der Umgang mit Alleinerziehenden“, den sie aus eigener Erfahrung kennt, führten zu einer offenbar schmerzfreien Trennung. Sie selbst fühlt sich in ihrer neuen Rolle im Gemeinderat augenscheinlich wohl: „Ich sage meine Meinung, und das tut mir gut. Das ist jetzt einfacher als in einer Fraktion, wo man auch Rücksicht nehmen muss.“

Das Feindbild verschwimmt nicht

Manche in der Stadt sagen freilich, ohne das sonderlich schmeichelnd zu meinen, Claudia Moosmann sei „eine, die schon immer gegen alles gewesen ist“. Dafür führen Kritiker das öffentliche Auftreten der früheren Gewerkschaftsaktivistin ins Feld: gegen den Flughafenausbau, gegen die Messeansiedlung, gegen die zweite Startbahn, gegen den Fluglärm. Und eben auch gegen zusätzliche Belastungen durch überregionalen Bahnverkehr.

Sie selbst sieht nichts von alledem negativ. Insbesondere den Kampf gegen die Stuttgart-21-Planung auf den Fildern verteidigt sie, „denn die Gefahr, den öffentlichen Personennahverkehr hier nicht mehr ausbauen zu können, ist einfach zu groß“, sagt Moosmann, die aus gesundheitlichen Gründen bereits Rentnerin ist. Die Befürchtung, dass Fern- und Regionalzüge die S-Bahn aus dem Takt bringen werden, wenn sie die beiden Gleise durch die Stadt mitbenutzen, ist seit 1997, der Geburtsstunde der Initiative Lebenswertes L.-E., aus Moosmanns Warte nie schlüssig entkräftet worden.

Das Feindbild verschwimmt auch durch die jüngste Entwicklung nicht. „Das dritte Gleis am Flughafen und die optimierte Rohrer Kurve beseitigen nicht das Grundproblem: Der Mischverkehr ist das Übel für Leinfelden.“ Dass nun auch die Grünen auf die Lösung am Flughafen eingeschwenkt sind, „kann ich nicht nachvollziehen“, sagt Moosmann. Für künftige Taktverbesserungen ergebe das keinen Spielraum, ebenso wenig die Überholgleise im Leinfelder Bahnhof.

Einstimmige Ablehnung ist längst Geschichte

Bei den Anstrengungen zur Verhinderung dieses Übels würden sich Moosmann und ihre Initiative durchaus mehr Unterstützung wünschen. Hilfe komme zwischenzeitlich weder aus dem Gemeinderat noch aus dem Rathaus. Einstimmige Ablehnung des S-21-Projekts im Stadtparlament sei längst Geschichte, beklagt Moosmann. Auch von der Verwaltungsspitze erwartet die Aktivistin nichts: „Ich gehe davon aus, dass der OB mir am Donnerstag keinen Blumenstrauß überreichen wird“, sagt die 59-Jährige.

Ist der nun schon 18 Jahre währende Kampf gegen die Bahnpläne nicht irgendwann zermürbend? Claudia Moosmann verneint die Frage vehement. Sie bezeichnet das Gesamtpaket ihres Engagements als „Auseinandersetzung um Verbesserungen in der Demokratie“. Gegen den Mischverkehr will sie „mindestens bis zur Planfeststellung weitermachen“ – und jede Woche einen Schwabenstreich organisieren.