Die Bahn rechnet schon lange damit, dass Stuttgart 21 wahrscheinlich nicht 2021 fertig wird. Das geht aus internen Papieren hervor – und zwar nicht nur aus jenen Unterlagen, die die Bahn am Dienstag im Lenkungskreis präsentierte.

Stuttgart - Draußen war es heiß, doch die Stimmung war frostig nach der Sitzung des Lenkungskreises am Dienstagabend. Offen wie selten haben die Bahn auf der einen und Land und Stadt auf der anderen Seite hinter verschlossenen Türen ihre Konflikte angesprochen. „Wir haben gestritten“, sagte der Stuttgarter OB Fritz Kuhn (Grüne). Es habe Vorwürfe gegeben von der Bahn an Stadt und Land, „und die wurden zurückgewiesen“, und es habe Vorwürfe gegeben von der Stadt an die Bahn, „und auch die wurden zurückgewiesen“. Als darob Gabrielle Schlott, eine Sprecherin des Bahn-Infrastruktur-Vorstands Volker Kefer, den Kopf schüttelte, musste sie sich von Kuhn sagen lassen, sie solle das gefälligst unterlassen, wenn sie sich schon mitten unter die Journalisten setze.

 

Angesichts dieser Atmosphäre verwunderte es dann auch nicht, dass es Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) war, der aus den Unterlagen der Bahn zitierte, wonach der neue Tiefbahnhof mit „80-prozentiger Wahrscheinlichkeit“ nicht wie geplant Ende 2021, sondern erst Ende 2022 fertig werde. Das musste Kefer bestätigen, wenngleich er von einer „kaufmännischen Vorsicht“ sprach, weil man dann mit Mehrkosten von 100 Millionen Euro rechne. „Das heißt nicht, dass es so kommt“, betonte Kefer, nach wie vor ziele man operativ auf eine Fertigstellung Ende 2021.

Flughafenanbindung als Unsicherheitsfaktor

Damit hielt sich Kefer an den offiziellen Sprachgebrauch, seitdem der Bahn-Aufsichtsrat Anfang März den Kostenrahmen von 4,5 auf 6,8 Milliarden Euro angehoben hatte – und damit den Weiterbau ermöglichte. Auch der S-21-Projektsprecher Wolfgang Dietrich hatte seither immer betont, dass es zwar ein ambitioniertes, aber erreichbares Ziel sei, wie geplant zum Fahrplanwechsel im Dezember 2021 den Tiefbahnhof und die Neubaustrecke in Betrieb zu nehmen. So sagte Dietrich Ende Mai, dass „das Projekt Stuttgart 21 auf allen Baustellen auf einem guten Weg“ sei, so dass der Termin für die Inbetriebnahme im Dezember 2021 realistisch sei. „Das können wir erreichen“, meinte er damals.

Als größte terminliche Unsicherheit gelten das Genehmigungsverfahren für die Flughafenanbindung, das Anfang 2015 fertig sein müsse. Hinzu kommt die Planänderung für das Grundwassermanagement, bei dem der Zeitplan wegen der in der vergangenen Woche geplatzten Erörterung ins Wanken gerät, falls die Genehmigung nicht im Frühjahr 2014 vorliege, so Dietrich.

Interne Papiere sprechen eine andere Sprache

Interne Papiere belegen freilich, dass die Bahn – wie die Stuttgarter Zeitung mehrfach berichtete – insgeheim schon länger eine spätere Inbetriebnahme für realistisch hält. Dazu gehören nicht nur die Unterlagen, die die Bahn am Dienstag in der Lenkungskreissitzung präsentierte und aus denen Hermann zitierte. Danach hat nicht nur die Fertigstellung Ende 2022 eine 80-prozentige Wahrscheinlichkeit, auch die noch späteren Enddaten 2023 und 2024 werden mit entsprechenden Wahrscheinlichkeiten (40 und 20 Prozent) bewertet.

Sogar in der Begründung des Aufsichtsratsbeschlusses vom März, der der Stuttgarter Zeitung vorliegt, wird ausgeführt, dass bei den damals akzeptierten höheren Kosten „als Inbetriebnahme für Stuttgart 21 und Neubaustrecke Dezember 2022 unterstellt ist“. Dabei nennt der interne Plausibilitätsbericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers weitere Zeit- und Finanzrisiken, vor allem im Bereich des Grunderwerbs und des Leitungsbaus, was auf der Lenkungskreissitzung noch gar nicht thematisiert wurde.

Kefer bleibt bei 2021

Kefer erklärte am Dienstagabend dennoch, dass die „operative Planung“ weiter auf ein Fertigstellungsdatum „in Richtung 2021 zielt“. Dieser Termin sei auch Grundlage der Planänderung zum Grundwassermanagement, nach der statt der genehmigten drei bis zu 6,8 Millionen Kubikmeter Grundwasser abgepumpt und wieder in den Boden geleitet werden sollen, um den Bautrog für den Tiefbahnhof ausheben zu können. „Es gibt keine Planung, nach der das Grundwassermanagement länger dauert“, sagte er. Deshalb müssten Planunterlagen auch nicht geändert werden.

Diese Aussage berührt ein Thema, das S-21-Kritiker ganz anders sehen. Bei der geplatzten Erörterung hatte ein Bürger nämlich danach gefragt, wie sich eine längere Bauzeit auf den Grundwasserhaushalt auswirke. Der Bahnvertreter hatte darauf nur erklärt, dass die Bahn von keiner längeren Bauzeit ausgehe. Ein Szenario , ob die beantragte Abpumpmenge auch bei einer längeren Bauzeit ausreiche, gebe es nicht, erklärte der Ingenieur der Bahn.

Für Gerhard Pfeifer vom BUND bedeuten längere Bauzeiten, dass „die Pumpen länger laufen und damit mehr Wasser entnommen werden muss“. Die Bahn dürfe deshalb nicht im Vorgriff auf die genehmigte Entnahme von drei Millionen Kubikmetern pumpen, sondern müsse warten, bis „alle wasserrechtlichen Genehmigungen unter Berücksichtigung eines Bauzeitenpuffers“ vorlägen. „Die Bahn muss ein Szenario erstellen, wie bei einer Bauzeitenverlängerung mit dem Grundwassermanagement verfahren wird“, fordern die Grünen im Gemeinderat. Zumal die Kritiker den Pumpversuch, auf dem die Grundwasserentnahme fußt, ohnehin für unzureichend halten – und dies auf der Erörterung thematisieren werden. So könnten sich also neue Verzögerungen ergeben.