Die Staatsanwaltschaft Stuttgart will wegen der verschwiegenen Kostensteigerungen nicht gegen die Bahn ermitteln. Dafür gibt es heftige Kritik.  

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Staatsanwaltschaft Stuttgart erkennt keinen Grund, wegen verschwiegener Kostensteigerungen beim Projekt Stuttgart 21 gegen die Deutsche Bahn zu ermitteln. Nach mehrwöchiger Prüfung hat die Behörde den in Strafanzeigen erhobenen Verdacht des Betrugs jetzt zurückgewiesen. Weder bei der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm noch beim Tiefbahnhof gebe es ausreichend Anhaltspunkte, um Ermittlungen gegen Verantwortliche der Bahn oder ehemalige Regierungsmitglieder aus Bund und Land aufzunehmen. Dies legt Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler in einer 15-seitigen Verfügung dar, die den Anzeigeerstattern zuging und auch der Stuttgarter Zeitung vorliegt. Der Arbeitskreis der Juristen zu Stuttgart 21 übt scharfe Kritik daran.

 

Auslöser für die etwa ein halbes Dutzend Strafanzeigen, die teilweise auch bei anderen Staatsanwaltschaften eingingen, waren Medienberichte über verschwiegene Kostensteigerungen. So wurde im Juli durch StZ-Recherchen bekannt, dass dem Bund vor der Verabschiedung des Bundesverkehrswegeplanes im Jahr 2003 eine Kostenexplosion bei der ICE-Strecke Wendlingen-Ulm vorenthalten worden war. Grundlage für Bundesregierung und Bundestag war die offizielle Kalkulation von 1,5 Milliarden Euro, obwohl die Baukosten bahnintern bereits auf 2,6 Milliarden Euro veranschlagt waren. Ziel war es, die Aufnahme in den Plan als "vordringlicher Bedarf" und damit die Finanzierung nicht zu gefährden, wie das Protokoll einer Besprechung von Bahn-Vertretern mit Vertretern der damaligen CDU-geführten Landesregierung zeigt. "Bis zur endgültigen Verabschiedung dürfen daher keine neuen Baukosten kommuniziert werden, um keine unzeitgemäße Diskussion auszulösen", heißt es darin. Tatsächlich wurde der Plan und das darauf basierende Ausbaugesetz so beschlossen.

Keine Belege für eine Täuschung

Die Staatsanwaltschaft sieht darin jedoch keine Täuschung in der Absicht, das Vermögen eines Dritten zu schädigen - so vereinfacht die Definition für Betrug. Der Kern ihrer Begründung: Beim Verkehrswegeplan handele es sich lediglich um einen Investitionsrahmenplan, mit dem noch nicht über Vermögen verfügt werde; Gleiches gelte für das darauf basierende, vom Bundestag beschlossene Ausbaugesetz. Beiden fehle eine "sich finanziell auswirkende Bindungswirkung". Erst die 2009 unterzeichneten Finanzierungsverträge stellten eine wirkliche Vermögensgefährdung dar, argumentiert der Oberstaatsanwalt Häußler.

Er erkennt auch keine Anhaltspunkte für den in den Anzeigen erhobenen Verdacht, die Bahn habe ihr bekannte Preissteigerungen vor Unterzeichnung der Verträge verheimlicht. Bereits damals, so die Kritiker, sei bahnintern klar gewesen, dass im Tunnelbau mit höheren Kosten zu rechnen sei. Auch das von den Grünen geführte Verkehrsministerium rügte, die Bahn habe bestimmte Kostenrechnungen nicht kommuniziert, um den Bau des Projekts nicht zu gefährden; dies zeigten interne Dokumente der früheren Regierung. Für eine Täuschung gebe es jedoch keine Belege.

Kostenplanung als plausibel eingestuft

Für die Staatsanwaltschaft reichen die Anhaltspunkte nicht aus, "den Verdacht einer betrügerischen Täuschung der Vertragspartner der DB AG ... zu begründen". Es sei kein strafbares Versäumnis, argumentiert sie, wenn die Kostensteigerungen nicht mitgeteilt worden sein sollten. Bei der fraglichen Kalkulation handele es sich nämlich nur "um einen Zwischenschritt in der Kostenplanung", für den "keine strafrechtlich relevante Offenbarungspflicht" bestehe. In seiner Einschätzung beruft sich Häußler auch auf die Wirtschaftsprüfer, die die Kostenplanung als plausibel eingestuft hätten.

Ein Sprecher der Juristen zu Stuttgart21 sprach von einer "willkürlichen, juristisch nicht vertretbaren Wertung". Die Schätzungen hätten sehr wohl offengelegt werden müssen, da der Risikopuffer nur für nicht absehbare Kostensteigerungen dienen sollte. Da im Finanzierungsvertrag eine Überschreitung um mehr als eine Milliarde Euro ausdrücklich als unwahrscheinlich eingestuft sei, handele es sich um das "Vorspiegeln falscher Tatsachen".