Die Kostenexplosion bei Stuttgart 21 wird von der Bahn auch mit gestiegenen Baupreisen begründet. Wie sieht die Lage wirklich aus? Wir haben Branchenkenner befragt.

Stuttgart - Auch wenn Details des Gutachtens zur S-21-Kostensteigerung auf 7,6 Milliarden Euro noch nicht bekannt sind, weiß man, dass die Bahn steigende Baupreise als einen der Gründe für die Mehrkosten von einer Milliarde Euro nennt. Schließlich hatte der DB-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla schon vor vier Wochen von Angeboten für ausgeschriebene Arbeiten gesprochen, die „exorbitant von unseren Ansätzen abweichen“.

 

In der Baubranche will sich niemand konkret zur aktuellen S-21-Entwicklung äußern, zumal es sich um spezielle Arbeiten handele, die ein bestimmtes Knowhow erfordern und deshalb nicht von einer normalen Marktsituation mit einer Vielzahl von Anbietern gesprochen werden könne. In der Tat gibt es für Tunnel- und Tiefbauarbeiten in dieser Größenordnung nicht allzuviele Unternehmen, in deren Kassen die höhere Baukosten nun landen werden.

Höhere Preise, weniger Angebote

Allgemein bestätigen Branchenkenner aber steigende Preise und – vor allem bei Großprojekten – eine geringere Zahl von Geboten auf die Ausschreibungen. So sagt Claus Bürkle, Infrastrukturexperte und Partner der in Stuttgart ansässigen und weltweit tätigen Drees & Sommer SE, die Immobilienprojekte steuert: „Seit Beginn diesen Jahres haben wir eine angespannte Marktlage. Wir bekommen bei Ausschreibungen deutlich weniger Gebote.“ Es gebe sogar Fälle, in denen keine Firma ein Angebot gemacht habe. „Dann müssen wir direkt auf die Unternehmen zugehen“, sagt Bürkle.

Auch bei den Preisen sieht er eine klare Steigerung, vor allem Generalunternehmer würden wegen des höheren Risikos mehr verlangen. „Die Preise sind sehr volatil. Einzelne Gewerke liegen 20 bis 40 Prozent über der Marktsituation vor einem Jahr“, sagt Bürkle. Er sei seit 18 Jahren bei Drees & Sommer, „eine so deutliche Steigerung in so kurzer Zeit“ habe er noch nicht erlebt.

Branchenverband sieht moderate Erhöhung

Allerdings verweist der Verband Bauwirtschaft Baden-Württemberg darauf, dass nach Angaben des Statistischen Bundesamts die Kosten im Tiefbau nur um 3,7 Prozent gestiegen seien. Den Vorwurf von öffentlichen Auftraggebern, auch der Bahn, Baufirmen nutzten die günstige konjunkturelle Lage aus, um überhöhte Preise durchzusetzen, weist Hauptgeschäftsführer Dieter Diener zurück: „Die Preise haben sich in den vergangenen Jahren nur moderat erhöht.“ Und wenn auf Ausschreibungen Angebote eingingen, die über den Kostenschätzungen des Bauherrn liegen würden, sei das „ein Indiz dafür, dass die Kalkulation offenbar unrealistisch ist und den Marktgegebenheiten nicht entspricht“, so Diener.

Auch der Sprecher des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, Heiko Stiepelmann, hält „dramatische Preisausschläge nach oben“ für eine übertriebene Darstellung. „Wir haben eine lineare Entwicklung“, sagt er. Die Baumaterialliste seines Verbands weist bei Stahl und Beton Steigerungen um bis zu zehn Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr auf.

Kann man gegensteuern? Der Experte Bürkle empfiehlt, so früh wie möglich auszuschreiben, effiziente Planungs- und Bauverfahren anzuwenden und größere Lose aufzuteilen, damit mehr Firmen Angebote machen können. „Wenn der Bauherr aber auf eine Realisierung jetzt angewiesen ist, dann gibt es nur hü oder hott“, sagt Bürkle. Vor dieser Frage steht bald der Aufsichtsrat der Bahn.