Die CDU kommt Grün-Rot nicht entgegen. Dennoch soll über ein Ausstiegsgesetz zu Stuttgart 21 per Volksabstimmung entschieden werden.

Stuttgart - Eine Hoffnung hat sich für Grüne und SPD jetzt erst einmal zerschlagen: die CDU-Landtagsfraktion wird den künftigen Koalitionären nicht die Hand reichen für eine Änderung der Landesverfassung zwecks Erleichterung von Volksabstimmungen. "Wir machen in der Opposition CDU pur" sagte der Fraktionschef Peter Hauk. "Ich sehe keinen Grund für eine Verfassungsänderung aus Tagesaktualität."

 

Zuvor hatten sich Grüne und SPD auf Eckpunkte für ihren weiteren Umgang mit dem Thema Stuttgart 21 geeinigt. Darin enthalten ist der Versuch, das Zustimmungsquorum für Volksentscheide zu senken. Die Landesverfassung schreibt vor, dass eine Gesetzesvorlage per Volksentscheid beschlossen ist, wenn sie von einer Mehrheit der Abstimmenden und zugleich von mindestens einem Drittel der Stimmberechtigten unterstützt wird. Dieses Drittelquorum verwandelt den Verfassungsartikel über die Volksgesetzgebung nach Ansicht der Grünen in einen Artikel zur Verhinderung von Volksabstimmung.

Auf SPD-Seite wird das etwas entspannter gesehen, und zwar deshalb, weil sich die SPD-Führung zu Stuttgart 21 bekennt und deshalb einem hohen Zustimmungsquorum für ein Ausstiegsgesetz etwas abgewinnen kann. Prinzipiell plädiert aber auch die SPD dafür, die Hürden für Volksabstimmungen deutlich zu senken. Vergangenen Sommer legten SPD und Grüne einen Gesetzentwurf vor, der das Zustimmungsquorum ganz abschafft. Dies stößt aber auch auf Bedenken, weil damit Volksabstimmungen zu einer Gesetzgebung von relativ wenigen werden könnten, die sehr eigene Interessen verfolgen.

Winfried Hermann will die ICE-Trasse verhindern

Für eine Verfassungsänderung bedarf es einer Zweidrittelmehrheit im Landtag oder einer Volksabstimmung mit einem Zustimmungsquorum von sogar 50 Prozent. CDU-Fraktionschef Hauk verwies darauf, dass Grüne und SPD das Angebot der schwarz-gelben Landesregierung, das Quorum auf 25 Prozent zu senken, im vergangenen Jahr abgelehnt hatten. Nun sehe er keinen Grund, Grün-Rot aus der Patsche zu helfen. "Sie haben eine Volksabstimmung plakatiert, jetzt sollen sie es machen", sagte Hauk. Die CDU aber werde "nichts dafür tun, die Verwirklichung von Stuttgart 21 zu erschweren".

Den Sozialdemokraten warf Hauk vor, dass sie sich "auf ein Splitting des Projekts" eingelassen haben. "Da sieht man, welche Haken geschlagen werden." Nach dem grün-roten Kompromiss soll nur über den Stuttgarter Tiefbahnhof abgestimmt werden, nicht über die Neubaustrecke nach Ulm, zu der sich jetzt auch die Grünen bekennen. Das ist eine Kröte für den Grünen-Unterhändler und Bundestagsabgeordneten Winfried Hermann, der hart daran arbeitet, die ICE-Trasse zu verhindern.

Palmer sorgt für Aufregung

Wenn nicht bereits der Stresstest Stuttgart 21 den Garaus macht und es - voraussichtlich im Oktober - zu einer Volksabstimmung kommt, geschieht dies über Artikel 60, Absatz 3 der Landesverfassung. In diesem Fall wird die grün-rote Landesregierung ein Ausstiegsgesetz formulieren, in dem die Landeszuschüsse zur Finanzierung von Stuttgart 21 (ohne Neubautrasse Ulm-Wendlingen) zurückgezogen werden. Bei der Abstimmung im Kabinett votiert die Grünen-Seite für das Ausstiegsgesetz, die SPD-Minister enthalten sich oder schnappen während der Beschlussfassung im Garten der Villa Reitzenstein frische Luft. Anschließend lehnt der Landtag mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD das Ausstiegsgesetz ab. Die Grünen-Abgeordneten können dafür stimmen. Danach beantragt der Landtag mit den Stimmen eines Drittels der Abgeordneten, das Ausstiegsgesetz zur Volksabstimmung zu bringen.

Wird das Ausstiegsgesetz per Volksentscheid abgelehnt, wollen sich die Grünen daran halten. Das gelte auch für den Fall, dass eine Mehrheit für den Ausstieg votiert, das erforderliche Zustimmungsquorum aber nicht erreicht wird, beteuerte der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann. "Wenn das Quorum nicht erreicht wird, ist das Ausstiegsgesetz nicht angenommen", sagte Kretschmann. Nötig war diese Klarstellung geworden, weil Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer zuvor erklärt hatte, die Grünen würden das Ergebnis des Volksentscheids nicht in jedem Fall akzeptieren. "Für mich ist es unvorstellbar, Stuttgart 21 zu bauen", sagte Palmer am Mittwochabend nach der Pressekonferenz, auf der Kretschmann die Einigung mit der SPD verkündet hatte. Das klang ganz so, als sollte der Konflikt zwischen den angehenden Koalitionären wieder aufbrechen.

Kretschmann sagte zu Palmers Äußerungen: "Es ist gesagt, und ich kann Worte nicht zurückholen." Stattdessen versuchte er, sie mit einem Scherz zu relativieren: "Oberbürgermeister in Baden-Württemberg dürfen immer das sagen, was sie sagen." In der SPD-Spitze wurde Palmers Einwände mit überraschender Duldsamkeit hingenommen. Was auch darin begründet ist, dass Palmer erklärte, dem künftigen Kabinett nicht angehören zu wollen. Dies wurde auch bei den Grünen da und dort mit Erleichterung aufgenommen. Der Schnelldenker Palmer gilt selbst bei den eigenen Leuten als mitunter etwas anstrengend. "Egomonster", nannte ihn einmal ein namhafter Grüner. Die SPD-Leute fühlen da mit. Sie haben mit dem Ulmer OB Ivo Gönner ebenfalls einen eigenwilligen Rathauschef in ihren Reihen. So hatte der Stuttgart-21-Befürworter Gönner vor der Wahl kundgetan, er hoffe auf eine starke CDU.

Aber auch Kretschmann lässt offen, was nach einer nur wegen des Quorums gescheiterten Volksabstimmung passiert. Dann müsse geredet werden, meinte er. Klar sei, dass ein solches Ergebnis Debatten auslöse. "Die Landesregierung muss dann schauen, wie sie verfährt." Auf die Frage, ob die Koalition dann platzt, sagte er: "Dann platzt sie hoffentlich nicht."

Drei entscheidende Wegmarken für Stuttgart 21

Drei entscheidende Wegmarken für Stuttgart 21

Landtag Das Landesparlament kommt am 11. Mai zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Am Tag darauf soll Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann zum neuen Ministerpräsidenten gewählt worden. Spätestens dann stellt er das neue Kabinett vor, das vom Landtagspräsidenten vereidigt wird.

Stresstest Der Belastungstest für den geplanten Tiefbahnhof samt Zulaufstrecken dauert bis zum Sommer an. Die grün-rote Koalition hat angekündigt, sich an Mehrkosten jenseits des 4,5-Milliarden-Euro-Limits nicht zu beteiligen. In diesem Fall müsste die Bahn entscheiden, ob sie das Projekt fortführt.

Volksabstimmung Kommt es zu einem Volksentscheid, so ist dieser für Oktober 2011 zu erwarten. So hat es der designierte Regierungschef Kretschmann in Aussicht gestellt. Bis dahin verlangen die grün-roten Koalitionäre von der Bahn einen Bau- und Vergabestopp für das Projekt Stuttgart 21.