In einem jetzt öffentlich gewordenen Brief an prominente Stuttgart-21-Gegner verschärft der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann seine Kritik an der Bahn. Der Konzern müsse jetzt sagen, ob er Stuttgart 21 stemmen kann.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Eigentlich sind die Adressaten gar nicht betroffen von der scharfen Kritik, die ein jetzt öffentlich gewordener Brief des Ministerpräsidenten enthält – im Gegenteil. In ihrer Antwort an Winfried Kretschmann danken die Stuttgart-21-Gegner Walter Sittler, Volker Lösch, Sabine Leidig und Egon Hopfenzitz dem Regierungschef sogar für dessen „ernsthafte“ Worte – und fordern nach der aus ihrer Sicht obsolet gewordenen Volksabstimmung umso mehr „einen sofortigen Bau- und Vergabestopp“. Zudem müsse der Ministerpräsident „umgehend in Verhandlungen mit der Bahn treten mit dem Ziel, S 21 definitiv zu stoppen“.

 

Davon ist Kretschmann zwar weit entfernt. Doch er hat seine Kritik an der Bahn noch einmal verschärft. In dem Brief beschreibt Kretschmann, warum er von einer „schweren Vertrauenskrise“ im Blick auf den Bau des Tiefbahnhofs spricht. Wörtlich heißt es: „Kein rechtschaffener Geschäftsmann oder Häuslebauer würde einen solchen Umgang in seinem Umfeld einfach hinnehmen, sondern sich natürlich die elementare Frage stellen: Können wir ehrlich noch einander trauen? Und so stelle auch ich mir die Frage: Können wir der Bahn nach den bisherigen und den neuesten Ereignissen zur Finanzierbarkeit des Projekts noch glauben? Müssen wir nicht alle zwei Jahre mit neuen Kostenexplosionen oder gar dem Schlimmsten rechnen? Können wir eine Bauruine im Herzen von Stuttgart ausschließen?“

Vor diesem Hintergrund richtet Kretschmann auch einen Appell an die S-21-Befürworter. Diese dürften „angesichts der Kostenexplosion nicht einfach abtauchen“. Alle, die vor der Volksabstimmung erklärt hätten, „S 21 halte den vertraglichen Finanzierungsrahmen von bis zu 4,526 Milliarden Euro ein, und es gebe keinerlei Belege dafür, dass der Kostenrahmen nicht ausreichend bemessen wäre, müssen nun sagen, wie es konkret weitergehen soll“. Ganz konkret habe die Bahn „jetzt wahrhaftig die letzte Gelegenheit, substanziell zu begründen, ob sie das Projekt noch realisieren kann und wie sie es bei weiteren schon jetzt absehbaren Mehrkosten ohne die Beteiligung der Projektpartner und des Bundes finanzieren will“. Ein „einfaches Ja“ zu Stuttgart 21 werde er der Bahn nicht mehr abnehmen.

Der Brief des Ministerpräsidenten „verdient Respekt, auch wenn ich seine Ansicht nicht in allen Punkten teile“, sagte S-21-Projektsprecher Wolfgang Dietrich auf Anfrage. Im Blick auf die Wertigkeit der Volksabstimmung habe sich Kretschmann „wohltuend eindeutig positioniert und klargestellt, dass das Votum für ihn auch im Lichte der aktualisierten Zahlen bindend ist“. Im Übrigen hoffe er, so Dietrich, dass sich „der Vorwurf der Vertrauenskrise relativiert und am Ende die positiven Aspekte überwiegen, wenn jetzt die aktualisierten Projektdaten eingesehen und in Ruhe bewertet werden“.