Wie viel Baulärm ist zumutbar? Von welchem Dezibel-Wert an dürfen Betroffene ihre Miete kürzen? Darüber streiten derzeit am Amtsgericht Stuttgart eine Rentnerin und ihr Vermieter.

Stuttgart - Der Streitwert von 1024,07 Euro ist überschaubar, der Ausgang des Verfahrens offen, die möglichen Folgen könnten aber am Ende für die Deutsche Bahn gravierend sein, obwohl der Konzern direkt gar nicht beteiligt ist: Am Amtsgericht Stuttgart läuft derzeit die Klage der Eisenbahn-Siedlungsgesellschaft gegen eine ihrer Mieterinnen, die in einem Hochhaus an der Ecke Friedhofstraße/Nordbahnhofstraße wohnt. Die Rentnerin kürzt seit einigen Monaten die Miete um 59 Euro im Monat, weil sie unter anderem den Lärm der Baumaßen für Stuttgart 21 als Mietminderungsgrund sieht.

 

Am Montag wurden nun vier Zeugen gehört, die über die Situation in unmittelbarer Nähe der Wohnung der Beklagten Auskunft geben sollten. Dass Lärm mitten in der Stadt normal ist, bestritt dabei niemand. Claus-Joachim Lohmann, der Anwalt der Mieterin, meinte aber, dass insbesondere der Krach durch den Lkw-Verkehr im Zusammenhang mit dem Bau des Tiefbahnhofs unzumutbar hoch sei. Und dass die Bahn dabei öffentliche Straßen über Gebühr belaste und den Lärm bei seiner Mandantin dadurch noch verstärke.

Es fehlen die Fakten

Die Beklagte wohnt in Sichtweite der Gleise. Dort hat die Bahn parallel zu den Schienen bis zum Frühjahr 2015 eine Baustraße angelegt, über die der Erdaushub für den Bahnhofstrog abgefahren wird. Ein Zeuge, den der Anwalt der Beklagten bestimmt hat, behauptet aber, dass die mit Aushub gefüllten Muldenkipper die Baustelle zwar tatsächlich über diese Straße verließen, die leeren Brummis aber auf dem Rückweg schon im Bereich der Rosensteinstraße von der Baustraße abbiegen, um einfacher zurück zum Hauptbahnhof zu kommen. Wenn das so wäre, würden diese leeren Muldenkipper tatsächlich direkt am Haus der Mieterin vorbeirumpeln.

Bisher sind das Behauptungen. Was fehlt sind belastbare Fakten. Zum Beispiel – wie hoch darf die Lärmbelastung überhaupt sein? Das hängt davon ab, ob das Haus in einem reinen Wohngebiet (55 Dezibel tagsüber) oder in einem Mischgebiet (60 Dezibel) liegt. Dann muss geklärt werden, ob die Lärmbelastung tatsächlich zu hoch ist und ob die auch von den Lastwagen stammen, die direkt an ihrem Haus vorbeifahren sollen. Richterin Anette Heiter wollte ursprünglich aus Kostengründen wegen des geringen Streitwerts teure Gutachten vermeiden, deutete aber nach den sehr unpräzisen Zeugenaussagen an, darüber noch einmal nachzudenken Es könnte also gezählt und gemessen werden.

Die Bahn sitzt schon mit am Tisch

Das Verfahren könnte sich also über den Verkündungstermin am 1. Februar 2016 hinausziehen. Was vor allem der Bahn nützen könnte. Stellt das Gericht nämlich fest, dass die Frau die Miete zurecht gekürzt hat, könnten weitere Anlieger auf diese Idee kommen. Die Eigentümer würden ihre Forderungen an die Mieter dann wohl an die Bahn stellen. Das alles aber nur dann, wenn zu dem Zeitpunkt überhaupt noch Lärm entsteht. Und irgendwann ist auch das größte Loch gegraben. Die Bahn kann also entspannt sein, sitzt aber mit einem Anwalt als Streithelfer der Eisenbahn-Siedlungsgesellschaft mit am Tisch.