Peter Maile ist von der katholischen Kirche zum Stuttgart-21-Diakon berufen. Er soll sich um die Nöte der Wanderarbeiter und um das Seelenheil der Ingenieure kümmern.

Stuttgart - Peter Maile wird in den nächsten drei Jahren die 4000 bis 5000 Arbeiter auf der Stuttgart-21-Baustelle seelsorgerlich betreuen. Der katholische Diakon will missionieren, prophetische Visionen entwickeln und sich solidarisch zeigen. Vor allem aber will er mit einem Bauchladen und vielleicht auch einem Bauchgrill zu den Arbeitern kommen und praktische Hilfe leisten.

 

Herr Maile, Sie sollen sich um das Seelenheil der Arbeiter kümmern. Wie viel verstehen Sie von Tunnelbau und Gleisarbeiten?
Ich komme aus dem Handwerk und bringe deshalb technisches Verständnis mit, auch wenn ich noch keinen Tunnel gebaut habe. Ich weiß aber, dass die heilige Barbara die Schutzpatronin der Bergbauleute ist.

Ob das die Bauarbeiter interessiert?
Das wird sich herausstellen. Ich werde sie jedenfalls darauf hinweisen.

Wie weit geht ihr technisches Verständnis?
Ich bin in einer Schreinerei aufgewachsen, deshalb ist mir der Umgang mit Holz vertraut. Später habe ich Heizungsbau gelernt und montiere heute noch Waschbecken. Auch mein neues Stuttgarter Büro habe ich selbst gestrichen.

Wollten Sie der Kirche Geld sparen?
Nein, ich mache das, weil ich weiß, dann ist es meines. Und weil wir das Geld für in Not geratene Menschen verwenden können.

Die katholische Kirche hat Sie beauftragt, sich in den nächsten Jahren ausschließlich um die S-21-Arbeiter zu kümmern. Füllt das eine ganze Stelle aus?
Es werden 4000 bis 5000 Bauarbeiter erwartet. Das ist eine große Gemeinde, oder nicht? Hinzu kommt, dass wir den Arbeitern auf allen Baustellen zwischen Stuttgart und Wiesensteig ein seelsorgerliches Angebot machen wollen, weil wir meinen, dass es guttut, wenn die katholische Kirche zu den Leuten geht. Wir möchten uns um die Menschen kümmern, die in prekären Arbeitsverhältnissen stecken. Mit diesen wollen wir uns solidarisch zeigen, etwas Prophetisches entwickeln und missionarisch unterwegs sein.

Wie missioniert man auf einer Baustelle?
Man hält den Menschen jedenfalls keine Beitrittserklärung unter die Nase. Vielmehr hilft man ihnen, Anträge auszufüllen, fragt nach ihren Sorgen und Nöten und ihrer Familie. Ich rechne damit, dass viele Arbeiter aus osteuropäischen Ländern angeheuert werden, die sich hier fremd fühlen und die Sprache nicht verstehen. Es werden Menschen darunter sein, die keine Krankenversicherung haben, andere werden monatelang an Heimweh leiden. Ich will für die Menschen die Initiative ergreifen, Ideen entwickeln und Netzwerke gründen, um sie zu unterstützen.

Wie darf man sich den prophetischen Part vorstellen?
Ich meine Prophetie in dem Sinne, dass ich Visionen entwickeln möchte, wie das Reich Gottes in der Welt von heute umgesetzt werden kann. Wir wollen den Menschen, die unter schwierigen Arbeitsbedingungen leiden, zu mehr Gerechtigkeit verhelfen und Solidarität zeigen. Es geht um Visionen, die über uns und die tägliche Arbeit hinausweisen.

Wie wird Ihre Solidarität aussehen? Werden Sie mit Transparenten vor die Bahn-Zentrale ziehen und gerechte Löhne fordern?
Das nicht, ich sehe mich als Netzwerker, und es liegt an dem Partner, ob er mein Angebot annimmt oder nicht. Die Leute bei der Bahn, die ich kennengelernt habe, begrüßen das kirchliche Angebot. Es geht mir auch nicht darum, Demonstrationen zu organisieren; das ist in erster Linie Sache der Gewerkschaften. Streiks sind ein legitimes Mittel, und wenn er der Sache dient, zeige ich mich solidarisch. Ich aber will dafür sorgen, dass sich die Menschen hier wohlfühlen, dass sie sagen können, ich lebe hier für ein Jahr und bin gut aufgehoben, auch wenn ich mir bessere Arbeitsbedingungen wünschen würde. Eine Idee ist zum Beispiel, dass ich Bauarbeiter und Kirchengemeinden zusammenbringe. Die Gemeinden könnten zum Beispiel an Erntedank oder an Weihnachten die Arbeiter mit Willkommensgeschenken empfangen.

Wie wollen Sie auf Missstände hinweisen?
Natürlich sind mir als Betriebsseelsorger faire Löhne ein Herzensanliegen. Das heißt aber nicht, dass ich alle Bauherren und Baufirmen auf die Anklagebank setzen möchte. Wir leben nun einmal in einer globalisierten Welt, in der es Niedriglöhne und Leiharbeit gibt und in der Unternehmen immer größere Gewinne anstreben. Deshalb werde ich im Sinne der Armen, die vielleicht nicht den Mut haben, sich zu artikulieren, auf Missstände hinweisen. Aber das kann auch im direkten Gespräch mit einem Vorgesetzten passieren. Ansonsten werde ich versuchen, das soziale Umfeld des Betroffenen zu verbessern.

Mit wie vielen Zuwanderern rechnen Sie?
Bei den Tunnelbauten werden wir sicher viele heimische Ingenieure antreffen, bei den Armierungsarbeiten dafür umso mehr Wanderarbeiter ohne Ausbildung. Zahlen aber kann ich nicht nennen, da werden erst die nächsten Monate Klarheit bringen.

Sieht man von Polen ab, ist die katholische Kirche in den osteuropäischen Ländern gar nicht so stark vertreten. Sind Sie dann überhaupt der passende Seelsorger?
Das hindert die katholische Kirche nicht daran, sich für die Zuwanderer zu engagieren. Ich bin im Moment dabei, Kontakte zu den orthodoxen Kirchen und den muttersprachlichen Gemeinden in Stuttgart und der Umgebung aufzubauen, damit ich den Weg auch dorthin weisen kann, wenn dies die Menschen wünschen.

Wie werden Sie an die Bauarbeiter rankommen. Sind Sie in jeder Vesperpause vor Ort?
Ich werde einen Bauchladen dabeihaben. Entweder gibt es eine Runde Tee für alle, oder ich binde mir einen Bauchgrill um und verteile Würstchen. Das überlege ich noch. Tatsächlich wollen wir uns als Betriebsseelsorge einen kleinen Bus anschaffen, in den ich die Menschen dann auch zu einem Kaffee oder einem Beratungsgespräch einladen kann. Ich werde natürlich auch da sein, wenn ein Bauarbeiter im Krankenhaus landet. Die Zugänge müssen verschieden sein, der eine freut sich über einen Tee, der andere braucht einen Dolmetscher beim Gespräch mit dem Arzt, der Dritte möchte vielleicht reden oder mit mir beten.