Ein Teilnehmer, der bei einer Sitzblockade gegen das Bahnprojekt S 21 im September 2010 von Polizisten weggetragen wurde, muss nun keine Wegtragegebühr bezahlen. Das Polizeipräsidium zog den Bescheid über 80 Euro zurück. Damit wird das Gericht auch nicht klären, ob der Bescheid zu Recht erfolgte.

Stuttgart - Ein Stuttgarter Bürger, der als Teilnehmer einer Sitzblockade gegen das Bahnprojekt S 21 im September 2010 am Nordflügel des Bahnhofs von Polizisten weggetragen wurde, muss dafür keine sogenannte Wegtragegebühr bezahlen. Einen Bescheid über 80 Euro zog das Stuttgarter Polizeipräsidium in diesen Tagen zurück. Damit wird auch das Verwaltungsgericht Stuttgart die Frage, ob die Gebühr zu Recht erhoben wurde, nicht mehr entscheiden. Die 5. Kammer stellte das Verfahren am 24. Oktober ein (Az.: 5 K 1344/12).

 

Die Stuttgarter Polizei begründete die Rücknahme damit, dass sich das Verwaltungsgericht bereits in zwei, in diesem Jahr ergangenen Urteilen mit dem auch für diesen Fall entscheidenden Sachverhalt beschäftigt habe – nämlich, ob es sich um eine verfassungsrechtlich geschützte Versammlung oder um eine Verhinderungsblockade handle, bei der polizeiliche Maßnahmen gerechtfertigt sind. „Beide Male teilte das Gericht unsere Auffassung nicht“, sagte Polizeisprecher Stefan Keilbach. Weil auch in diesem Fall, der einen „annähernd gleichen Sachverhalt“ habe, mit einer derartigen Entscheidung des Gerichts zu rechnen gewesen sei, habe das Polizeipräsidium den Bescheid zurückgenommen.

Polizei hat bisher keine weiteren Bescheide zurückgezogen

Keilbach ließ offen, ob – und wenn ja – wie viele ähnlich gelagerte Fälle es gibt. Insgesamt habe das Polizeipräsidium im Zusammenhang mit S-21-Protestaktionen rund 570 Gebührenbescheide wegen Wegtragens verschickt. „Ihnen liegen aber höchst unterschiedliche Sachverhalte und Zeiträume zugrunde“, sagte Keilbach. Die Polizei prüfe momentan, welche Fälle betroffen sein könnten. Auf die Frage, ob schon weitere Gebührenbescheide zurückgezogen worden seien, antwortete der Sprecher: „Nein, bisher noch nicht.“ In Justizkreisen ist von 100 bis 200 vergleichbaren Fällen die Rede.

In dem aktuellen Fall hatte ein Bürger im April 2012 vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen das Land Baden-Württemberg eingereicht und gefordert, den Bescheid des Polizeipräsidiums Stuttgart vom Januar 2011 aufzuheben, in dem von ihm eine sogenannte Wegtragegebühr von 80 Euro verlangt wurde. Der Mann war nach Angaben des Gerichts im September 2010 Teilnehmer einer Sitzblockade in der Einfahrt zur Baustelle am Nordflügel des Hauptbahnhofs. Er wurde von zwei Polizeibeamten weggetragen, um wartenden Baufahrzeugen die Einfahrt zu ermöglichen. Inwieweit es gerechtfertigt ist, dafür eine Gebühr zu verlangen, bleibt nun offen, weil die 5. Kammer keine Entscheidung in der Sache fällen muss, nachdem die Beteiligten nach der Rücknahme des Bescheids den Rechtsstreit für erledigt erklärten – zumal die Polizei beziehungsweise das Land auch alle Kosten des Klägers übernehmen wird, so die Kammer.

Allerdings hatte dieselbe Kammer beispielsweise im Juni dieses Jahres entschieden, dass ein von der Polizei als Verhinderungsblockade eingestuftes Frühstück von Projektgegnern im Januar 2011 in erster Linie ein Ausdruck des Protest gegen S 21 gewesen sei. Damit stehe die der öffentlichen Meinungsbildung dienende Aktion unter dem Schutz der verfassungsrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit.