Neue Hürde für Stuttgart 21: Die Gleise dürfen nur still gelegt werden, wenn sich dafür kein Betreiber findet. Das könnte Probleme bereiten.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)
Stuttgart - Stuttgart 21 steht vor einer weiteren Hürde, an der sich ein juristischer Streit entzünden könnte. Zahlreiche Privatbahnen wollen die rechtliche Möglichkeit nutzen, den bestehenden Hauptbahnhof und die Gleisanlagen zu übernehmen und weiter zu betreiben. Was dies für die geplante Stilllegung, Entwidmung, Vermarktung und Neubebauung der oberirdischen Bahnflächen bedeutet, ist offen.

"Ich kenne etwa zehn Unternehmen, die Anträge für den Weiterbetrieb der Anlagen stellen werden. Der oberirdische Bahnhof wird bleiben, die Rechtslage ist eindeutig - und damit hat Stuttgart21 ein Problem", sagt Alexander Kirfel, der Geschäftsführer des Netzwerks Privatbahnen. Der Berliner Verband vertritt zwei Dutzend private und kommunale Güterbahnen aus ganz Europa, die dem Marktführer Deutsche Bahn (DB) kräftig Konkurrenz machen.

Der Verband setzt auf den Präzedenzfall Wiehltalbahn


Bei den Güterbahnen ist der Ärger über den Tiefbahnhof und die zugehörige ICE-Neubaustrecke nach Ulm groß. "Beide Projekte bringen dem Frachtverkehr nichts, sind aber mindestens sieben Milliarden Euro teuer und verschlingen das Geld, das für viel wichtigere Güterstrecken in Deutschland fehlt", kritisiert Kirfel.

Der Schlichterspruch mache das Projekt nun sogar noch teurer, so Kirfel. Die Güterbahnen, hinter denen einflussreiche Konzerne und öffentliche Eigentümer stehen, wollen daher jetzt andere Mittel nutzen, S21 zu stoppen. Der Verband setzt auf den Präzedenzfall Wiehltalbahn. Dort scheiterte die von der DB und einigen Kommunen geplante Stilllegung und Bebauung von Bahnbetriebsgelände, weil ein DB-Konkurrent erfolgreich dagegen klagte und den Weiterbetrieb durchsetzte.

"Neue Betreiber werden sich mit Sicherheit bewerben"


Tatsächlich sind die Verlegung der Anlagen unter die Erde und der Bau neuer Stadtviertel auf dem bisherigen Gleisgelände zentrale Bestandteile von Stuttgart21. Die Bahn hat die riesigen Flächen bereits vor fast einem Jahrzehnt an die Stadt und andere Projektträger verkauft und dafür damals 585 Millionen Euro kassiert. Viele Flächen werden aber erst nach 2019 zur Bebauung frei. Dann sollen die unterirdischen Bahnanlagen fertig sein, und die oberirdischen Gleise könnten abgebaut werden.

Der Haken an der Sache ist im Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG) zu finden. Dieses legt unmissverständlich fest: Bahnhöfe und Strecken dürfen nur stillgelegt werden, wenn sich bei einer zwingend vorgeschriebenen Ausschreibung dafür kein Betreiber mehr findet. "Diese neuen Betreiber aber werden sich mit Sicherheit bewerben, wann auch immer die Bahn die Anlagen ausschreibt", betont Kirfel.

"Am Ende kann es zwei Bahnhöfe in Stuttgarts Mitte geben"


Mögliche Bewerber will der Verbandschef noch nicht nennen. "Dafür gibt es gute Gründe. Denn der Exmonopolist Deutsche Bahn beherrscht weiter den Markt und das Netz, die Konkurrenten hätten Nachteile zu befürchten", so Kirfel. "Möglicherweise würde es auch politischen Druck auf die Unternehmen geben." Es gebe aber keine Zweifel, dass der Verkehrsbedarf für die oberirdischen Gleisanlagen in Stuttgart auch künftig gegeben sei. Das werde notfalls auch in Gerichtsverfahren nachgewiesen und damit die Stilllegung verhindert. Zudem gebe es auch für eine Entwidmung von Bahnanlagen strenge Vorschriften und Einspruchsmöglichkeiten.

Die Folge davon, warnt Kirfel, werde sein, "dass es am Ende zwei Bahnhöfe in Stuttgarts Mitte geben könnte - die neue unterirdische Stuttgart-21-Station und darüber die bestehenden oberirdischen Anlagen". Die geplanten neuen Stadtviertel könnten dann nicht entstehen, Stuttgart21 bliebe ein Rumpfprojekt. "Die Stadt und die DB sollten sich genau überlegen, ob sie dieses Risiko wirklich eingehen wollen", warnt der Verbandsexperte.

Die Deutsche Bahn sieht das gelassen. Eine förmliche Stilllegung der alten Gleisanlagen sei nicht erforderlich, erklärt der Konzern auf Anfrage. Denn weder der Betrieb des Stuttgarter Hauptbahnhofs noch der Gleisanlagen werde eingestellt. Die Gleisanlagen würden auf Basis einer rechtskräftigen Planfeststellung nur verlegt und nicht aufgegeben. Die Entwidmung der alten Anlagen werde erst nach Inbetriebnahme der neuen Infrastruktur vorgenommen, so die DB weiter. Wettbewerber haben nach Ansicht des Konzerns ohnehin "keinen Anspruch auf eine bestimmte Gleisführung oder Gleislage"; aufgrund der bestandskräftigen Planfeststellung sei vielmehr die Deutsche Bahn berechtigt, die Lage der Gleise zu verändern.