Der Vorstandschef der Stuttgarter Straßenbahnen AG hat ein brisantes Strategiepapier zum Ausbau des Schienenetzes verfasst – mit der Idee, eine S-Bahn-Stichstrecke zum Hauptbahnhof in die Erde zu legen.

Auf die Bemühungen, den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in der Region Stuttgart anzuschieben, wird immer mehr Energie verwendet. An diesem Donnerstag wird Wolfgang Arnold, Technik-Vorstand der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB), bei einer Veranstaltungsreihe der SPD (19 Uhr im Rathaus) den Bedarf an möglichen Verbesserungen aufzeigen – oder auch nicht. Denn am Freitag soll er sich bei einem Pressegespräch neben seinem Aufsichtratsvorsitzenden, Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) zu möglichen Verbesserungen äußern. Da werde er einen Teufel tun und sich bei der SPD zu weit aus dem Fenster lehnen, glauben Beobachter.

 

Intern hat sich Arnold längst aus dem Fenster gelehnt. Sogar ziemlich weit, meinen Kritiker des Bahnprojektes Stuttgart 21. Einen Teil der Ideen, die Arnold in einem Papier für den SSB-Aufsichtsrat formulierte, interpretieren sie als Versuch, „den Kardinalfehler von Stuttgart 21zumindest zu minimieren“, wie ein Gegner sagte.

Panoramastrecke weiter betreiben?

Gemeint ist die Überlegung, zwischen der geplanten S-Bahn-Station Mittnachtstraße im Stuttgarter Norden und dem künftigen Hauptbahnhof ein Gleis in Tieflage für S-Bahnen oder für die geplanten Metropolexpresszüge zu bauen.

Das bestärkt die S-21-Gegner nur in ihrem Glauben, dass der Tiefbahnhof von Anfang an zu wenig Kapazität für die Abwicklung des notwendigen Schienenverkehrs haben werde. Sie fühlen sich an die schon vor zwei Jahrzehnten erhobene Forderung erinnert, wenigstens einen Kombibahnhof mit oberirdischen Gleisen vorzusehen, nicht nur acht Gleise in einem Durchgangsbahnhof unter der Erde.

„Herr Arnold ist ein eingefleischter Befürworter von S 21, dass er jetzt Kritikpunkte der Gegner anerkennt, ist sensationell“, sagte ein Mitglied des Aufsichtsrats. Das sei vielleicht der Einstieg in eine Kombilösung. Wenn man die wolle, könne man gleich bestehende oberirdische Gleise nutzen. Das Thema dürfte auch die Koalitionsgespräche beeinflussen, die die Grünen und die CDU auf Landesebene jetzt angehen.

Neben der Stichstrecke regte Arnold in dem Papier auch eine Idee an, die Stuttgart-21-Gegner, auch Grünen-Verkehrsminister Winfried Hermann, in der jüngeren Vergangenheit beschäftigte: dass die Panoramstrecke der Gäubahn in Stuttgart auch dann weiter betrieben wird, wenn nach der Fertigstellung des neuen Bahnknotens Stuttgart die Gäubahnzüge über den Flughafen Stuttgart zwischen dem Hauptbahnhof und Stuttgart-Vaihingen verkehren, nicht mehr über die Panoramastrecke.

Umsteigepunkte auch in Vaihingen und Feuerbach

Deren Gleise könnten dann auch für S-Bahnen oder Metropolexpresszüge genutzt werden, dachte Arnold in der Präsentation für den Aufsichtsrat an. Außerdem brachte er für diesen Abschnitt auch neue Haltestellen ins Gespräch, an denen das S-Bahn-Netz mit dem Stadtbahnnetz und dem Busnetz in Stuttgart verknüpft werden könnte. Diese Umsteigepunkte wären im Bereich Eckartshaldenweg im Stuttgarter Norden sowie am bisher nicht betriebenen Westbahnhof sowie im Bereich Herderstraße im Stuttgarter Westen. Außerdem in Vaihingen und in Feuerbach, denn nach Feuerbach würde die Panoramastrecke, die bisher nach einer Rechtskurve in den Stuttgarter Kopfbahnhof mündet, künftig führen – wahrscheinlich mit der Option, auch eine Verbindung in Richtung Bad Cannstatt zu schaffen oder von Feuerbach den Hauptbahnhof anzufahren.

Mit der Ideensammlung, die noch viel mehr Ansatzpunkte umfasst und auch Kapazitätsengpässe im Schienennetz benennt, überrascht Arnold auch den Vorsitzenden des Verbandes Region Stuttgart (VRS), Thomas Bopp. Er sagte am Mittwoch, die Idee mit neuen Stationen auf der bisherigen Gäubahnstrecke zwischen Vaihingen und dem Stuttgarter Talkessel kenne er noch nicht.

Neue Stichstraße? Bopp geht auf Distanz

Aber alle Projektpartner bei Stuttgart 21 seien aufgefordert, sich Gedanken über die Zukunft der nicht mehr benötigten Gäubahngleise zu machen und über Maßnahmen im Schienennetz nach der Fertigstellung von Stuttgart 21. Auf diesem Abschnitt der bisherigen Gäubahnstrecke wären Tangentialverbindungen der S-Bahn am S-Bahntunnel in der Innenstadt vorbei möglich. Er rate dringend dazu, die Leistungsfähigkeit des Schienensystems zu erhöhen und sich den Ernst der Lage klarzumachen. Wegen des demografischen Wandels müssten in der Region perspektivisch bis 2025 Ersatzarbeitskräfte für 150 000 Neurentner gewonnen werden. Die Nachfrage nach Verkehrsangeboten werde drastisch wachsen.

Zur Idee einer neuen Stichstrecke zwischen Mittnachtstraße und Hauptbahnhof ging Bopp auf Distanz. Ebenso zur Erhaltung von oberirdischen Gleisen. Sinnvoll wäre es möglicherweise aber, innerhalb der geplanten S-Bahn-Station ein drittes Gleis zu bauen, damit das Umsteigen und der Bahnbetrieb erleichtert würden, sagte er.