Bezirksvorsteherin Beate Dietrich aus dem Stuttgarter Stadtbezirk Wangen ist S-21-Tunnelpatin – und will sich nicht darauf reduzieren lassen. Im Dezember war sie bei der Tunneltaufe dabei.

Stuttgart - Stuttgarts früherer Oberbürgermeister Wolfgang Schuster pflegte bei Projekten, bei denen er nur Vorteile zu entdecken glaubte, von einer Win-win-Situation zu reden – einer Lage also, in der es nur Sieger gibt. Diesem Duktus folgend stand Beate Dietrich im Herbst des vergangenen Jahres vor einer Lose-lose-Situation, in der sie nur verlieren konnte. „Als die Anfrage kam, war mir klar, dass ich nur die Wahl hatte zwischen zwei Fehlern“, erinnert sich die Wangener Bezirksvorsteherin. Die Bahn wollte sie als Patin für den S-21-Tunnel in ihrem Stadtbezirk gewinnen, und „wie ich mich auch entscheiden würde, ich würde verlieren, weil es die Gegenseite so auslegen wird, dass ich die Neutralität verlasse“, berichtet sie Wochen später über ihre damaligen Gedanken, die sich als prophetisch erweisen sollten.

 

An jenem 4. Dezember vollzog Beate Dietrich symbolisch den Baggerbiss in dem Loch, das nun nach ihr Beate-Tunnel heißt, – und seitdem erreichen sie zwar positive Reaktionen („vor allem mündlich“), aber eben auch viele negative, meistens per E-Mail („einige ziemlich gemein“), in Briefen und sogar in der Weihnachtspost. „Dass es ein Thema schafft, so zu spalten, erschreckt mich“, sagt die Bezirksvorsteherin an einem warmen Vormittag zwischen den Jahren, an dem die Sonne eine heimelige Wärme in ihre niedrige Amtsstube im Wangener Rathaus aus dem 16. Jahrhundert zaubert.

Beim Lastwagenverkehr genau hinsehen

Und wie war es am kalten 4. Dezember? „Das war ein aufregender Tag“, sagt Beate Dietrich, der mich „sehr nachdenklich gemacht hat“. Sie hatte sich entscheiden, das Amt der Tunnelpatin anzunehmen – nicht nur, weil sie in S 21 mehr Vor- als Nachteile sieht. „Ich bin als Bezirksvorsteherin nicht vom Volk gewählt, sondern Teil einer Verwaltung und einer Kommune, die das Projekt unterstützt“, begründet sie. Zudem sei der Tunnel ein großes Bauvorhaben im Stadtbezirk, und „die Mineure sind etliche Jahre hier bei uns“.

Sie werde als Tunnelpatin aber ihre kritische Begleitung nicht aufgeben, wenn dies im Interesse Wangens notwendig sei oder wenn Bürger Unterstützung benötigten, etwa bei Unterfahrungs- und Entschädigungsregelungen. „Ich werde genau hinschauen, dass nicht mehr Lastwagen durch Wangen fahren als im Planfeststellungsbeschluss erlaubt sind und dass die Vorschriften eingehalten werden“, sagt Dietrich. Sie komme jedenfalls direkt auf die Baustelle und zu den dort Verantwortlichen – und holt den Baustellenausweis aus der Tasche. „Ich komm’ da jederzeit rein“, sagt sie.

Der Höhenangst getrotzt

Drin war sie auch am 4. Dezember – mit den anderen, rund 200 Ehrengästen, zumeist Männern. Schon bei den Besprechungen zuvor und der Probefahrt im Bagger hatte Beate Dietrich erkannt, dass „diese spezielle technische Welt männlich dominiert“ ist. Das wurde am 4. Dezember, dem Tag der heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Tunnelbauer noch deutlicher. Denn es durfte keine Frau direkt in den Tunnel – nur sie als Patin, die den Mineuren Glück bringen, aber auch ihre Ansprechpartnerin bei Problemen sein soll. Auf einer an einen Kran gehängten Plattform wurde Beate Dietrich in das damals fast 20 Meter tiefe Loch hinabgelassen, wo sie ins Führerhaus eines großen Baggers stieg und mit dessen Schaufel buddelte. „Die Erde löste sich wie Butter“, erinnert sie sich, „Baggerfahren ist einfach toll.“

Richtig froh war sie, dass sie ihrer Höhenangst getrotzt hatte. Nicht vergessen hat sie auch, dass währenddessen Hunderte S-21-Gegner auf der Ulmer Straße protestierten. „Diese Demonstrationen sind okay, nicht okay war, wie manche Besucher angegangen wurden“, sagt sie, für die der Tag mit einer Feier mit den Tunnelbauern zu Ende ging. „Das war fröhlich“, sagt sie, „mich hat der Tag berührt.“

Nicht auf die Haltung zu S 21 reduzieren lassen

Beate Dietrich ist seit mehr als sechs Jahren Bezirksvorsteherin in Wangen, wo sie seit 1978 wohnt. Die Mittfünfzigerin, in Oberstdorf geboren, kam von Hannover nach Stuttgart, wo sie 20 Jahre im Sozialamt arbeitete. „Dieses Büro war immer mein Ziel“, sagt sie,die nur ein paar Minuten vom Rathaus entfernt wohnt, „ich will direkt mit den Menschen zu tun haben“. Am Nachmittag traut sie zwei behinderte Menschen, darauf freut sie sich. Die Feuerwehr schickt eine Handvoll Leute, die die Rollstuhlfahrer ins nicht behindertengerecht ausgebaute alte Rathaus tragen. Sie rühmt den Zusammenhalt im 8733 Einwohner zählenden Stadtbezirk, das große Engagement der Ehrenamtlichen in Vereinen und Kirchen, sie fragt sich aber auch, wie die Menschen erreicht werden können, die nicht in diesen Strukturen leben. „Auch die gehören zu uns“, sagt sie.

Die Sozialdemokratin will ihr Amt als S-21-Tunnelpation ernst nehmen. Sie hat den Arbeitern zu Weihnachten ein kleines Geschenk gebracht. Sie selbst wünscht sich, dass anerkannt wird, dass es auch andere politische Themen gibt, und „bei denen habe ich mehr Gemeinsamkeiten mit S-21-Gegnern als mit den Befürwortern“, glaubt sie. „Das kann doch nicht sein, dass ich auf meine Haltung zu S 21 reduziert werde.“

Mit diesem Teil endet die Serie 12 aus 2013, in der wir zum Jahreswechsel Menschen vorgestellt haben, die eng mit den Geschehnissen des jeweiligen Monats verbunden sind.

Die übrigen Serienteile finden Sie hier.

Was noch geschah im Dezember 2013 in Stuttgart

4. Dezember:
Der Verband Region Stuttgart hat eine neue Chefin – die 46-jährige Juristin Nicola Schelling wird im zweiten Wahlgang von der Regionalversammlung gewählt. Der Posten des Regionaldirektors ist wegen der Erkrankung der bisherigen Inhaberin Jeannette Wopperer zwei Jahre lang vakant gewesen.

5. Dezember:
Oberbürgermeister Fritz Kuhn stellt sein lange erwartetes Wohnbauprogramm vor. Künftig sollen in der Landeshauptstadt jährlich 600 Wohnungen gefördert werden, um vor allem den Mangel an bezahlbarem Wohnraum für größere Familien und für allein lebende Menschen zu lindern.

9. Dezember:
Die Waldheime befinden sich in einer prekären finanziellen Situation – der katholische Stadtdekan Christian Hermes schlägt Alarm. Viele Waldheime würden nur wenige Wochen im Jahr genutzt; das könnten sich die Kirchen nicht länger leisten. Die Stadt müsse die Regelungen so ändern, dass weitere Nutzungen möglich seien.

11. Dezember:
Der Autobauer Porsche beteiligt sich mit zehn Millionen Euro am Bau der John-Cranko-Ballettschule, die deutlich teurer wird als geplant. Die Stadt kann ihren Anteil von 22,5 Millionen Euro so deutlich leichter schultern. Porsche ist seit zwei Jahren Hauptsponsor des Balletts.

12. Dezember:
Das 170 Tonnen schwere Hauptlager der Tunnelbohrmaschine für Stuttgart 21 wird in einer nächtlichen Aktion per Schwerlasttransport vom Hafen zum Fasanenhof gebracht, wo der Bau des Fildertunnels Mitte 2014 beginnen soll. 200 friedliche Demonstranten begleiten den Konvoi.

20. Dezember:
Das Gottlieb-Daimler-Gymnasium wird wegen einer geplanten „Feier zum Fest der Werte“ im Internet aus der rechten Szene bedroht. Die Direktorin verteidigt das Fest, da Schüler aus 23 Nationen teilnähmen. Die Feier wird aber von der Liebfrauenkirche in ein Schulgebäude verlegt.